Brenda Joyce
Händen hielt und dabei strategisch ihren
Lendenbereich verdeckte. Francesca stutzte – sie war schon mehrmals in Harts
Haus gewesen, aber diese Skulptur war ihr neu. Sie wirkte schockierend
erotisch, doch ihre Schönheit war nicht zu leugnen. Ihr gegenüber stand eine
weitere Skulptur, die Francesca bereits kannte: zwei Frauen, ebenfalls
lebensgroß und nackt, die in großer Angst vor etwas davonrannten.
Francesca blickte sich rasch in der Halle um –
die übrigen ausgestellten Kunstwerde schienen unverändert. Die gewölbte Decke
zierte ein Fresko, das offenbar die Hölle darstellte, denn die Männer, Frauen
und Kinder, die in diesen Bereich hinaufgerissen wurden, schrien verängstigt.
Ein weiteres Bild, ein großformatiges Ölgemälde an der Wand, zeigte einen
Mann, der auf dem Rücken lag und von seinem Hengst niedergetrampelt zu werden
drohte. Es trug den Titel Die Bekehrung des heiligen Paulus und wirkte
ebenso beunruhigend wie kraftvoll.
»Wie geht es dir, caro?«, fragte Lucy ihren zehnjährigen
Sohn, während sie ihn in die Arme schloss.
Er sträubte sich ein wenig gegen die Zärtlichkeit, musste sich dabei
jedoch das Lächeln verbeißen und duldete die Umarmung schließlich. »Shoz hat
ein Telegramm geschickt. Er möchte, dass du ihm sofort antwortest«, berichtete
Roberto ernst.
Lucys
Augen strahlten. »Was stand darin?«
»Dass er
uns vermisst«, gab Roberto schlicht zurück.
»Hattest du einen schönen Tag?«, fragte Grace, die nun ebenfalls
in die Halle gekommen war.
»Ganz wunderbar.« Lucy
strahlte. »Wir haben übrigens Gäste zum Abendessen – Mrs Channing und ihre
Tochter Sarah, ihren Verlobten Evan, der Francescas Bruder ist, und
Francesca.« Grace wandte sich Francesca zu und begrüßte sie freundlich.
Francesca war die Situation ein
wenig peinlich. »Mrs Bragg, ich hoffe, wir kommen Ihnen nicht ungelegen«,
begann sie.
»Ganz und gar nicht.« Grace
warf einen Blick über die Schulter.
Francesca verkrampfte sich –
erst jetzt bemerkte sie, dass Hart am anderen Ende der Eingangshalle stand,
reglos wie seine Statuen. Er starrte die Ankömmlinge an – oder galt sein Blick
ihr, Francesca?
Während er langsam die Halle durchquerte, schien sich eine
eigentümliche Spannung im ganzen Raum auszubreiten. Hart trug kein Jackett,
seine silberfarbene Weste stand offen, die Krawatte war gelockert, der
Hemdkragen aufgeknöpft, sodass ein kleines Stück dunkler Haut mit
nachtschwarzem Haar zu sehen war. Im Ganzen bot er eine zerzauste Erscheinung –
doch »zerzaust« war eigentlich nicht der passende Ausdruck. Francesca fiel kein
Wort ein, das ihn treffend beschrieben hätte. In seiner Haltung und seinen Bewegungen lag stets etwas Träges,
Gleichmütiges. Die Art, wie er dastand und sie so intensiv anblickte, hatte
immer etwas Sinnliches, ja Gefährliches an sich. Doch zugleich lag in seinen
Augen ein Anflug von Belustigung, als spiele er mit großem Genuss ein äußerst
riskantes Spiel. Hart war und blieb ein Raubtier, schoss es ihr durch den Kopf.
Das lag in der Tiefe seines Wesens verankert.
Sie rührte sich nicht von der Stelle.
Der Hauch eines Lächelns umspielte die harte Linie seines Mundes,
als er schließlich aus dem Schatten trat. »Meine neue Aktstatue gefällt
Ihnen«, murmelte er.
Ihr Herz schlug heftig. »Ich denke schon.«
Nun lächelte er tatsächlich und sah sie mit leuchtenden Augen an.
»Das freut mich. Ich selbst mag sie auch sehr.«
Francescas Blick huschte wieder zu der jungen Frau mit der Taube.
Sie bemerkte, dass sich eine Haarlocke um eine deutlich hervorstehende Brustwarze ringelte. »Sie ist zu jung für Sie. Außerdem
muss sie Pazifistin sein«, bemerkte sie, wobei sie sich bemühte, möglichst
bissig zu klingen – kein leichtes Unterfangen, wenn man kaum richtig atmen
konnte. »Im Gegensatz zu Ihnen.«
Seine weißen Zähne blitzten auf. »Sie ist vermutlich vierzehn oder
fünfzehn. Das ist in der Tat ziemlich jung, selbst für mich. Übrigens ist der
Vogel, den sie da so ... behutsam hält, keine Felsentaube, sondern eine
Ringeltaube«, erwiderte er leise. »Und wie kommen Sie darauf, ich sei kein
Pazifist? Nur Toren finden am Krieg Gefallen.«
»Aber die Symbolik ist häufig dieselbe«, hauchte Francesca, die
nun nicht mehr die Statue, sondern Hart ansah. Eigentlich verspürte sie
durchaus nicht das Bedürfnis, darüber zu sprechen, dass die nackte Frau eine
Taube im Schoß hielt. »Sie sind also Pazifist, Hart?«
»Solange man mir keinen Anlass zum
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