Brenda Joyce
es bereits weit nach
Mitternacht – und dennoch war sie sich sicher, nicht schlafen zu können. Joel
hatte sich in den engen Raum hinter ihren Sitzen gequetscht. Sie hatten lediglich
fünfzehn Minuten bis in das im Norden der Stadt gelegene Villenviertel
benötigt, da um diese Zeit nur wenig Verkehr herrschte. Bei Miss Conway hatten
sie keine weiteren Spuren mehr gefunden. Sie besaß zwar eine kleine Schachtel,
in der sie Karten, Zeilen und Briefe von ihren Bewunderern aufbewahrte, aber
jeden einzelnen ihrer Verehrer ausfindig zu machen und zu vernehmen würde
Jahre in Anspruch nehmen. Bragg hatte vorsichtshalber zwei Streifenpolizisten
zur Villa der Channings geschickt – für den Fall, dass der Mörder noch einmal
zuschlug und sich Sarah zum Ziel nahm.
Obwohl es schon sehr spät und Francesca
erschöpft war, wollte sie gern für einen Moment mit Bragg allein sein. Solche
Momente waren selten. Hätte sich seine Frau nicht entschlossen, nach Amerika
zurückzukehren, wäre das anders gewesen. Und auch wenn die beiden weiterhin getrennt
lebten, war Francesca entschlossen, das Richtige zu tun, was bedeutete, dass
sich ihre Beziehung auf die Partnerschaft bei ihren Ermittlungen beschränkte.
Sie hatte sich nicht in ihn verlieben wollen.
Als sie einander kennenlernten, hatte sie überhaupt kein romantisches Interesse
an Männern gehabt und über die Vorstellung von der Suche nach der wahren Liebe
gelacht. Sie war recht selbstgefällig gewesen, hatte mit einer gewissen Häme zugesehen,
wie sich andere junge Damen gutaussehenden, in Frage kommenden Männern an den
Hals warfen. Aber dann hatte Amors treffsicherer Pfeil sie selbst erwischt und
sie hatte sich auf den ersten Blick in Rick Bragg verliebt. Und das sogar noch,
bevor sie beide eine fesselnde politische Debatte führten. Francesca war sich
ziemlich sicher, dass sie selbst dann nicht in der Lage gewesen wäre, ihre
Gefühle zu kontrollieren, wenn sie gewusst hätte, dass er verheiratet war. Sie
war noch nie zuvor einem Mann wie Bragg begegnet. Er war nicht nur attraktiv
und intelligent, sondern hegte auch eine ebenso große Leidenschaft für gesellschaftliche
und politische Reformen wie sie. Bevor ihr klar wurde, dass er verheiratet war,
hatte sie davon geträumt, mit ihm eine Familie zu gründen, an seiner Seite für eine
gute Sache nach der anderen zu kämpfen, ihr Leben mit ihm zu teilen.
Denn das Schicksal hatte Bragg für eine
politische Karriere bestimmt. Bevor er nach New York kam, war er ein mittelloser
Anwalt in Washington gewesen und hatte Arme, zu Unrecht Beschuldigte,
Bedürftige und Geisteskranke verteidigt. Nun ging das Gerücht um, dass er
eines Tages für den Senat kandidieren würde. Es war sein Traum, seine Reformen
auf nationaler Ebene fortzuführen. Und Francesca wünschte ihm, dass dieser
Traum Wirklichkeit werden würde.
Sie war sich durchaus bewusst, dass, wie sehr
er seine Ehefrau auch verachten mochte, sie hier die Nebenbuhlerin war.
Und ihre Schwester hatte es wahrlich auf den Punkt gebracht, als sie sie
unverblümt darauf hinwies, dass sie seine Zukunft, seinen Ruf, sein Leben
gefährdete. Das Recht war auf Leigh Annes Seite, während sie, Francesca,
keinerlei Ansprüche hatte. Daraufhin hatte Francesca die Entscheidung
getroffen, dass sie und Bragg von nun an nichts weiter als Freunde sein würden,
sie ihn aber in jeder Hinsicht unterstützen wollte. Und wie schwer es ihr auch
fallen mochte, sie würde sich nicht in seine Ehe drängen.
Aber es war so viel leichter, das Richtige tun zu wollen, als
tatsächlich seine Träume aufzugeben!
»Worauf warten wir denn?«, brummte Joel und unterbrach damit ihre
Gedanken. »Ich frier mir hier den Hintern ab!« Francesca warf ihm einen Blick
zu. »Warum gehst du nicht schon hinein? Ich komme gleich nach.«
»Oh, ich verstehe. Die Turteltauben wollen allein sein.« Joel
kicherte, kletterte aus dem Wagen und steuerte auf die Haustür der Villa zu.
»Gute Nacht, Joel!«, rief Bragg ihm hinterher.
Joel zuckte nur mit den Schultern und verschwand im Haus.
Francesca wappnete sich gegen jedwedes Verlangen und wandte sich Bragg zu.
Er betrachtete sie forschend. Sein Blick wanderte zu ihrem Mund.
»Es scheint beinahe so, als würde uns das Schicksal immer wieder
zusammenführen«, sagte er schließlich und ein kleines Lächeln umspielte seine
Lippen. »Ich hätte nie damit gerechnet.« Sie wussten beide, dass seine Aufgabe
eigentlich nicht darin bestand, Verbrechen aufzuklären. Aber wenn ein Fall
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