Brenda Joyce
aufschreckte, bemerkte sie, dass sie das Glas
beinahe geleert hatte. Dieser Tag war zum Alptraum geworden.
Hart blickte sie grimmig an. Ohne sich umzuwenden, befahl er:
»Alfred, schicken Sie Raoul los, er soll meinen Halbbruder holen.«
Francesca
erstarrte.
»Und dann lassen Sie ein Gästezimmer herrichten. Miss Cahill wird
die Nacht unter Rourkes Obhut verbringen.« An Francesca gewandt fügte er hinzu:
»Ich werde Ihre Eltern herholen, Francesca. Sie müssen es erfahren.«
Sie hielt ihr nunmehr leeres
Glas umklammert. »Nein.«
»Francesca.« Sein Gesicht nahm
einen weicheren Ausdruck an. »Sie sehen ein wenig angegriffen aus, und ich
werde abwarten, bis Sie mit Rourkes Hilfe präsentabel sind, aber Ihre Mutter und Ihr Vater werden außer sich
sein, wenn Sie nicht nach Hause kommen. Ich fahre zu ihnen und denke mir
irgendeine Erklärung aus.« Beim letzten Satz verdüsterte sich sein Gesicht
wieder.
»Eine Notlüge wäre in diesem Fall wohl angebracht«, stimmte ihm
Rourke zu.
»Nein«, widersprach Francesca noch einmal, die kaum imstande war
zu atmen. »Bitte lassen Sie Bragg nicht herholen, Calder.«
Er
stutzte, starrte sie verblüfft an.
»Bitte
nicht.«
Er musterte sie noch immer forschend und kniff nachdenklich die
Augen zusammen.
Francesca
blieb auf dem Sofa sitzen. Sie trank ihren zweiten Scotch, nachdem sie
Inspector Newman gerade einen detaillierten Bericht von dem Überfall gegeben
hatte. Hart war ihr in dieser halben Stunde nicht von der Seite gewichen und
hatte als ihr Beschützer nur wenige Meter entfernt Stellung bezogen. Er trank
nicht und blieb stumm, lauschte jedoch aufmerksam jedem ihrer Worte. Es gab
jetzt zwischen ihnen keine Geheimnisse mehr.
Die Türen zu dem kleinen Salon waren
geschlossen. Francesca wusste allerdings, dass sich ein Großteil von Braggs
Familie draußen in der Eingangshalle versammelt hatte. Als Newman hereingeführt
wurde, hatte sie einen Blick auf Rathe und Grace, ihren gutaussehenden Neffen
Nick D'Archand sowie Lucy und ihren Mann Shoz werfen können, wie sie alle mit
gesenkten Stimmen in ein Gespräch vertieft dastanden. Sie konnte sich ihre
Gedankengänge vorstellen. Und der Polizei-Commissioner der Stadt glänzte
durch Abwesenheit.
Francesca weigerte sich jetzt an Bragg zu denken. Hart hatte
ihrem Wunsch Folge geleistet und ihn nicht rufen lassen, sondern stattdessen
Chief Farr informiert. Der Polizeichef stand neben Newman. Farr war wenige
Minuten nach dem Inspector eingetroffen, hatte diesem aber die Befragung
überlassen.
»Nun, ich denke, das dürfte reichen, Miss Cahill«, sagte Newman.
Seine braunen Augen blickten sie freundlich an. »Es tut mir leid, dass Sie ein
solches Martyrium erleiden mussten.«
»Ich danke Ihnen. Werden Sie LeFarge und
Neville noch einmal vernehmen?« Francesca sah dabei Brendan Farr an und spürte,
wie sie unwillkürlich eine Anspannung überkam. Sie wusste, dass er sie nicht
leiden konnte – das war schon von ihrer ersten Begegnung an so gewesen. Aber er
gehörte nun einmal zum alten Schlag und hielt nichts davon, dass sich
Zivilisten in Polizeiangelegenheiten einmischten, erst recht nicht, wenn es
sich dabei auch noch um Frauen handelte.
Ȇberlassen Sie die Details dieser Ermittlung
nur uns, Miss Cahill«, gab Farr mit einem Lächeln zurück, das sich nicht in
seinen Augen zeigte. »Ich glaube, die Ereignisse des Abends haben deutlich
gemacht, dass man die Verbrechensbekämpfung besser den Männern überlässt.«
Francesca verkniff sich eine Antwort darauf.
Vernünftigerweise musste man nun davon ausgehen, dass entweder LeFarge oder
Neville der Angreifer gewesen war. Es sei denn, Hoeltz wäre frühzeitig aus
seinem Verhör entlassen worden und ihr zum Royal
gefolgt. Aber es würde ein Leichtes sein, herauszufinden, wann das Verhör
geendet hatte.
Farr fuhr fort, sie anzulächeln. »Ich muss
darauf bestehen, dass Sie sich künftig aus Polizeiangelegenheiten heraushalten.«
Er wandte sich an Hart. »Mr. Hart, es wäre am besten für alle Beteiligten, wenn
Miss Cahill ihre kriminalistischen Aktivitäten einstellt, bis der Würger
gefunden ist.«
Francesca wünschte sich insgeheim, die Erde
möge sich auftun und Farr verschlingen. Doch sie schenkte ihm ein süßliches
Lächeln und erwiderte gehorsam: »Wie Sie meinen, Chief.«
»Er hat recht«, stimmte ihm Hart zu und
bedachte sie dabei mit einem Blick, der besagte, dass er ihre Taktik durchschaut
hatte. »Dieser Fall übersteigt Ihre Fähigkeiten,
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