Brenda Joyce
Vorstellung hatte einen gewissen Reiz.
»Hallo, Sarah«, begrüßte Evan sie.
Sarah zuckte zusammen, bemerkte, dass Mrs. Kennedy geflüchtet war
und Julia die Besucherinnen mit Evan allein ließ. Sie brachte ein Lächeln
zustande. »Evan, ich habe gerade erst davon gehört«, sagte sie leise. »Wie
schlimm bist du verletzt?«, erkundigte sie sich besorgt. Wie hatte sie sich nur
derart wegen ihres albernen Ateliers anstellen können! Schließlich war es
nichts weiter als ein Raum. Sie konnte Bartollas Porträt noch einmal malen. Die
Wände ließen sich reinigen, Leinwände und Farben konnte man neu kaufen. Was
war nur mit ihr los gewesen?
»Ich werde schon bald wieder so gut wie neu
sein«, versicherte er, während sich Bartolla auf dem Bett niederließ, genau an
der Stelle, an der zuvor Maggie Kennedy gesessen hatte.
»Benötigen Sie irgendetwas?«, fragte sie.
»Vielleicht einen Schluck Wasser?«, erwiderte er und lächelte sie
an.
Bartolla griff nach dem Wasserglas auf dem Nachttisch. Sie beugte
sich vor und gewährte dabei einen tiefen Einblick in ihr Dekolleté, da ihre
Jacke tief ausgeschnitten war und sie lediglich ein Spitzenhemd darunter trug.
Evan senkte den Blick, hob ihn dann rasch wieder. Sarah wandte sich ab und ging
zum Fenster hinüber.
Es war ihr egal. Es war ihr egal, dass Evan
vernarrt war in ihre Cousine. Wie sollte er nicht? Bartolla war wunderschön,
temperamentvoll, klug und freundlich. Sie verkörperte all die Eigenschaften,
die eine Frau haben sollte.
Sarah blieb am Fenster stehen und starrte auf
die schneebedeckten Rasenflächen des Gartens hinunter. Sie schlang die Arme um
ihren Körper, spürte unter den Fingern einen Farbfleck und bemerkte, dass sie
einen lilafarbenen Klecks auf ihrem grünen Rock hatte. Als sie weiter an sich
hinunterblickte, entdeckte sie noch einige Kleckse und seufzte. Sie bekam mit
einem Mal Leibschmerzen.
Es war doch bloß ein Atelier. Was spielte es schon für eine Rolle,
dass eine Leinwand zerstört worden war? Schließlich war kein größerer Schaden
entstanden. Es gab gar keinen Grund für sie, sich jedes Mal so elend zu
fühlen, wenn sie darüber nachdachte. Oder etwa doch?
Sie schloss die Augen, nahm nur noch am Rande wahr, dass Evan und
Bartolla hinter ihr in eine leise Unterhaltung vertieft waren. Übelkeit stieg
in ihr auf und sie verspürte eine Bedrohung, die sie nicht zu fassen
vermochte. In ihrem Kopf lauerte irgendwo in einem dunklen Nebel etwas Grauenhaftes.
Sie begann zu zittern und hatte plötzlich das Gefühl, beobachtet
zu werden.
In dem Nebel versteckte sich ein Mann. Ein ganz schrecklicher
Mann.
Das Gefühl, beobachtet zu werden, wurde
stärker. Sarah begann heftiger zu zittern, und im selben Moment packte sie
jemand von hinten am Arm. Sie stieß einen kleinen Schrei aus, wirbelte herum
und blickte in große, topasfarbene Augen, in die ein Büschel dunkelblonder
Haare fiel.
»Miss Channing?«
Sarah befreite sich aus seinem Griff. Als sie ins Hier und Jetzt
zurückkehrte, erkannte sie, dass sie Rourke Bragg gegenüberstand.
»Alles in Ordnung?«, erkundigte er sich und musterte sie
forschend.
Es gefiel ihr gar nicht, wie er sie
anstarrte. Und noch weniger gefiel ihr die Tatsache, dass er, als sie
schrecklich krank und verängstigt gewesen war, beschlossen hatte, ihr Arzt zu
werden. Dabei war er noch nicht einmal ein richtiger Arzt, sondern nur ein
Medizinstudent! Sie spürte seine Hand auf ihrem Handgelenk und zog den Arm weg.
»Es geht mir gut. Guten Tag, Mr. Bragg.«
Er beäugte sie, als glaube er ihr nicht, und lächelte dann, doch
nur sein Mund verzog sich und das Lächeln erreichte nicht seine Augen. »Sie
wirken so traurig«, sagte er.
»Das bin ich aber nicht«, fuhr sie ihn an. Nicht, dass es ihn etwas
anginge!
»Nein?« Er deutete mit einer Kopfbewegung zu
Bartolla und Evan hinüber und seine Augen verdüsterten sich. »Sie hätten allen
Grund, wütend zu sein, aber nicht traurig.«
Sie wusste, was er damit meinte, und zuckte
mit den Schultern. »Es ist mir egal. Sie ist wunderschön. Er sollte sie
heiraten.«
Rourke schüttelte ungläubig den Kopf. »Das kann doch nicht Ihr
Ernst sein!«
Konnte dieser Mensch nicht jemand anderen behelligen? »Doch, das
ist es«, erwiderte sie scharf. »Und was gehen Sie überhaupt meine Gefühle an,
Mr. Bragg?«
Er versteifte sich sichtlich. »Es ist mir nun einmal ein Bedürfnis,
Menschen zu heilen. Aus diesem Grund will ich schließlich Arzt werden: Es liegt
in meiner Natur,
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