Brenda Joyce
schon
wach und sehe nichts als die Wand meines Schlafzimmers vor mir«, erwiderte sie.
»Francesca? Es fühlt sich so real an.«
Als Francesca nicht darauf antwortete, fügte sie hinzu: »Als sei
es wirklich geschehen.«
Nur noch eine weitere Wohnung im Haus 202 East Tenth Street war
bewohnt. Es handelte sich um die Nummer zwei im Erdgeschoss. Francesca und
Bragg wurden von einer matronenhaften Frau mit einem grimmigen Gesichtsausdruck
empfangen, die sie ohne ein Lächeln durch die einen Spaltbreit geöffnete Tür
taxierte. »Ja?«, sagte sie.
»Mrs. Holmes?«, fragte Bragg lächelnd.
»Ich kaufe nichts«, erklärte sie und schloss abrupt die Tür.
Francescas Brauen wanderten in die Höhe, als Bragg ein weiteres Mal klopfte.
»Ich bin Polizist und ich fürchte, ich muss Sie in einer offiziellen
Angelegenheit sprechen«, sagte er zu der geschlossenen Tür.
Dieses Mal öffnete ihm eine junge Frau, die
nur ein paar Jahre älter war als Francesca. Francesca
blickte in sanfte, besorgt dreinblickende braune Augen, die von rotbraunem,
streng zurückgebundenem Haar eingerahmt wurden. Die Frau öffnete die Tür weit.
»Ich bin Catherine Holmes. Ich muss mich für meine Mutter entschuldigen, sie
kann unerwarteten Besuch nicht leiden«, erklärte sie leise.
»Es tut uns leid, wenn wir stören, aber wir müssen Ihnen ein paar
Fragen stellen«, sagte Francesca mit einem beruhigenden Lächeln.
Catherine Holmes nickte und bat sie in die bescheiden möblierte
Wohnung. Ihr Blick ruhte auf Bragg. »Ich habe eine Karikatur von Ihnen in der
Zeitung gesehen. Sie sind der Commissioner der New Yorker Polizei.«
»Das stimmt. Und dies hier ist Miss Cahill«, stellte er Francesca
vor.
Catherine Holmes wirkte noch immer ängstlich, als sie die Besucher
aufforderte, in dem kleinen Salon Platz zu nehmen. Sie befingerte nervös ihre
Schürze, die sie über einem Kleid aus dunklem Serge trug. »Geht es um die arme
Miss Conway?«, flüsterte sie.
»Ich fürchte ja«, bestätigte Bragg.
»Sie war so freundlich – und so wunderschön«, sagte Catherine
Holmes, die sich auf die Kante eines Sessels gehockt hatte. »Ich kann mir
nicht vorstellen, wer ihr etwas so Schreckliches angetan haben könnte.« Tränen
stiegen ihr in die Augen.
Francesca beugte sich vor, um ihre Hand zu berühren. »Waren Sie
mit ihr befreundet?«
Catherine Holmes schüttelte den Kopf. »Nein.
Aber wir sind uns hin und wieder im Vestibül begegnet. Für eine
Schauspielerin war sie eine sehr nette Dame.«
Francesca zögerte. »Haben Sie auch ihren Galan ab und zu hier
gesehen?«
Catherine Holmes blinzelte, richtete sich auf. »Ja«, sagte sie
gedehnt. »Er war des Öfteren hier. Ein attraktiver Mann, den man nicht so
leicht übersehen konnte.«
Francesca dachte für sich, dass die Katze schon sehr schnell aus
dem Sack sein würde, wenn die Reporter erst einmal begannen, die Nachbarn über
Grace Conway zu befragen. Evan würde zweifellos rasch identifiziert werden. Was
bedeutete, dass sie den Mörder desto dringender schnellstmöglich finden
mussten, um ihrem Bruder weiteres Leid zu ersparen.
»Fällt Ihnen vielleicht irgendjemand Ungewöhnliches ein, der sich
in der Nähe von Miss Conway herumgetrieben hat?«, fragte Bragg.
Catherine Holmes schüttelte
erneut den Kopf. »Sie hatte immer nur den einen Besucher, diesen Gentleman.
Sie war nicht oft zu Hause, ist eigentlich fast immer ausgegangen.«
Francesca
zog fragend die Augenbrauen hoch.
»Ich bin ständig zu Hause«, erklärte Catherine Holmes bedauernd.
»Ich kümmere mich um Mutter. Und das Fenster unseres Salons geht auf die Tenth
Street hinaus.«
Francesca erhob sich, schritt zum Fenster hinüber und zog die Vorhänge
auf. Tatsächlich hatte man von hier aus einen perfekten Blick auf den Eingang
des Gebäudes. Sie wirbelte herum. »Sind Sie sicher, dass Sie am Montag keine
ungewöhnliche Person beim Betreten oder Verlassen des Hauses beobachtet haben?«
Catherine Holmes erbleichte. »Das haben Sie
mich bisher nicht gefragt, aber die Antwort lautet nein. Ich sitze ja nicht den
ganzen Tag hier und beobachte die Eingangstür.«
Francesca warf einen Blick auf den
Schaukelstuhl, der neben dem Fenster stand. Irgendjemand saß offenbar gern
hier und verfolgte, was in der Welt da draußen vor sich ging. »Sitzt Ihre
Mutter öfter hier?«
»Nur hin und wieder. Sie leidet an Gicht und Arthritis und zieht
es vor, im Bett zu bleiben.« Catherine Holmes stand auf. Sie machte einen noch
ängstlicheren Eindruck
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