Brenda Joyce
Nachdem sie ihren Mantel abgelegt hatte, blickte
sich Francesca in der eleganten Eingangshalle um. Die Eichenböden waren auf
Hochglanz poliert und mehrere gefällige Gemälde zierten die holzvertäfelten
Wände. Hinter einem Rundbogendurchgang sah sie eine weitere Empfangshalle.
Diese war in Rot und Gold gehalten und von der Decke hing ein prachtvoller
Kronleuchter. Andere Türen, die von der Eingangshalle abgingen, waren
geschlossen.
»Der Mann scheint ein Gentleman
zu sein«, flüsterte sie.
»Sein Ruf eilt ihm voraus, und
er ist in vornehmen Kreisen nicht willkommen«, erwiderte Bragg. »Er ist
außerdem ein vehementer Unterstützer von Tammany, Francesca.«
»Stammt all dieser Reichtum von
verschuldeten Herren der Gesellschaft?«
»Er besitzt drei sogenannte Saloons in der Stadt. Ob er noch
weitere Investitionen getätigt hat, ist uns nicht bekannt«, sagte Bragg. In
dem Augenblick kehrte der Diener in Begleitung eines Gentleman zurück.
LeFarge war klein und stämmig.
Er trug eine blaue Hausjacke aus Samt über seinem weißen Hemd und der Abendhose.
Seine recht kleinen Füße steckten in passenden Samthausschuhen, die jeweils
ein goldenes Monogramm mit den Buchstaben ALF schmückte. Er hatte eine große
Nase, unergründliche dunkle Augen, buschige schwarze Brauen und ein warmes,
leicht amüsiertes Lächeln umspielte seine Lippen. »Commissioner Bragg!«, rief
er überschwänglich. »Was für eine Freude, guter Mann.«
Bragg nickte höflich. »Guten Abend, Mr. LeFarge. Ich fürchte, ich
bin in einer polizeilichen Angelegenheit hier.«
»Wirklich?« LeFarge blinzelte, als sei er die Unschuld in Person,
schenkte dann Francesca ein freundliches Lächeln und streckte die Hand aus.
»Was für eine reizende Dame! Miss ...?«
Dieser Mann war dafür verantwortlich, dass ihr Bruder beinahe zu
Tode geprügelt worden war. Francesca weigerte sich, ihm die Hand zu reichen.
»Mein Name ist Cahill«, sagte sie mit sanfter Stimme, bemüht, sich ihre
aufsteigende Wut nicht anmerken zu lassen. »Miss Francesca Cahill.«
»Das hätte ich mir denken können«, bemerkte er und ließ die Hand
sinken, fuhr aber fort, sie anzulächeln. »Die berüchtigte Kriminalistin!
Kommen Sie nur herein. Ich ziehe mich gerade für eine Abendgesellschaft um,
aber ich kann einen Moment erübrigen.«
Er drehte sich um und öffnete eine massive
zweiflügelige Rosenholztür. An der Wand links davon hing ein Porträt von ihm in
einer Militäruniform, augenscheinlich einer französischen aus dem neunzehnten
Jahrhundert. Die Pose war napoleonisch. Francesca blieb vor dem Gemälde stehen.
Sie fand es ganz und gar nicht amüsant. LeFarge erinnerte darauf an Bonaparte.
Bragg fasste sie am Arm und
blickte sie warnend an. Francesca hatte zu zittern begonnen. Aber sie begriff
und nickte. Sie musste sich unbedingt zusammenreißen.
Er erwiderte das Nicken und sie
folgten ihrem Gastgeber in einen prunkvollen Salon.
»Darf ich Ihnen eine Erfrischung anbieten?«, fragte LeFarge und
deutete auf ein kleines, rotes Samtsofa, das von zwei Damastsesseln in
dunklerem Rot flankiert wurde. »Einen Scotch, Commissioner? Einen Sherry für
die Dame?«
»Wir werden es kurz machen«, entgegnete Bragg.
Francesca wurde bewusst, dass sie die Arme fest vor der Brust
verschränkt hatte. Sie setzte sich steif auf die Kante eines Damastsessels,
während sich LeFarge aus einer Kristallkaraffe vom Barwagen einen Scotch
einschenkte. Er hob das Glas in Richtung seiner Besucher und sagte lächelnd:
»Auf den besten Polizeibeamten der Stadt und die beste Amateurdetektivin.«
Francesca begann erneut zu zittern. Die Worte lagen ihr auf der
Zunge. Haben Sie Grace Conway getötet? Haben Sie Sarah Channing überfallen?
Wollten Sie meinen Bruder auf diese Weise wegen seiner Spielschulden unter
Druck sehen? Doch sie schwieg, starrte den Mann nur an.
Der erwiderte ihren Blick über den Rand seines Glases hinweg und
seine Augen verdüsterten sich.
Sie zitterte heftiger, war sich sicher, dass eine Drohung da in
lag.
»Können Sie mir sagen, wo Sie Montagmorgen gewesen sind?«, fragte
Bragg.
LeFarge wirkte überrascht. »Ich war bis zum Mittag 2 Hause, in
meiner Bibliothek, um genau zu sein. Ich verbringe jeden Morgen dort und gehe
geschäftliche Angelegenheiten durch«, sagte er.
»Und
danach sind Sie ausgegangen?«
LeFarge nahm einen Schluck von seinem Scotch und erwiderte mit
belustigter Miene: »Ich habe mit Harold Lev und Jacob Cohen im Waldorf Astoria
zu Mittag gegessen, mein
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