Brenda Joyce
Polizeichef, Brendan Farr, der
nun in der offenen Tür stand, gar nicht kommen hören. Das andauernde Klicken
des Telegrafen und das unablässige Klingeln des Telefons waren inzwischen vertraute
Klänge, geradezu Musik in seinen Ohren. »Kommen Sie nur herein, Brendan«,
forderte er Farr mit einem knappen Lächeln auf. Er war froh über die Ablenkung
von seinem Privatleben.
Brendan Farr war über einen Meter neunzig groß und breitschultrig,
hatte einen vollen Schopf eisengrauer Haare und gleichfarbige Augen. Nach
einigem Hin und Her hatte Bragg ihn vom Inspector zum Polizeichef befördert, obwohl
in Farrs Vorgeschichte Unredlichkeit und Korruption eine Rolle gespielt hatten.
Der Commissioner war überzeugt gewesen, dass diese Beförderung ihm Farrs
Loyalität sicherte und dieser klug genug sein werde, sich in Zukunft nichts
mehr zuschulden kommen zu lassen. Doch mittlerweile hatte er begonnen, seine
Wahl zu bedauern. Seit Farr während einer Ermittlung in der vergangenen Woche
ein recht fragwürdiges Verhalten an den Tag gelegt hatte, vermochte Bragg
nicht mehr zu sagen, wie es nun tatsächlich um die Loyalität seines
Polizeichefs bestellt war.
»Alles in Ordnung, Rick?«, erkundigte sich Farr und setzte sich
auf den Stuhl, den sein Vorgesetzter ihm mit einer Geste anbot.
Bragg nahm auf der anderen Seite seines übervollen Schreibtisches
Platz. »Viel zu tun, wie immer.« Er lächelte. »Sie scheinen besorgt«, bemerkte
Farr. »Falls es irgendwelche Probleme gibt, würde ich Ihnen gern helfen.«
»Low hat mich gebeten, die sonntäglichen
Schließungen der Saloons zu beenden«, erklärte Bragg und lehnte sich in seinem
Sessel mit der Lehne aus Rohrgeflecht zurück. »Aber die Moral gebietet meiner
Ansicht nach etwas anderes.«
Farr zog seine buschigen Augenbrauen hoch.
»Wie auch immer Sie entscheiden, ich stehe hinter Ihnen. Allerdings stecken
Sie meiner Ansicht nach ganz schön in der Klemme.«
Wie recht er damit hatte! »Ich habe nichts anderes von Ihnen
erwartet«, erwiderte Bragg unverbindlich. In dem Bewusstsein, dass ihm Farr
wieder einmal nicht den geringsten Hinweis darauf gegeben hatte, was er
wirklich dachte, wechselte er das Thema. »Was kann ich denn für Sie tun?«
Farr beugte sich vor. »Ich habe gerade erst
erfahren, dass wir in einem neuen Mordfall ermitteln. Ich wäre Ihnen dankbar,
wenn Sie mich demnächst davon in Kenntnis setzen würden, wenn eine so bekannte
Persönlichkeit ermordet wurde, Rick. Ich war ein großer Bewunderer von Miss
Conway.«
Bragg war nicht überrascht, dass Farr von den
Ermittlungen Wind bekommen hatte; schließlich wusste auch schon der
Bürgermeister darüber Bescheid, ebenso wie die Hälfte der politischen
Öffentlichkeit. Doch da Bragg nicht zu denen gehörte, die den Polizeichef
unterschätzten, empfand er eine gewisse Nervosität. Wie viel mochte Farr wissen?
Konnte er ihm trauen oder nicht? »Ich habe Newman und Hickey mit der Voruntersuchung
betraut«, sagte er regungslos.
»Das ist mir bekannt. Ich habe mich mit beiden
am gestrigen Abend ausführlich unterhalten«, entgegnete Farr. Sein Gesicht
trug einen grimmigen Ausdruck, aber nichts ließ darauf schließen, ob er von
Evan Cahills Beziehung zu der Schauspielerin wusste. »Sie war eine so wunderschöne
Frau. Ich habe sie einmal im Empire Theater gesehen. Diese Vorstellung werde
ich niemals vergessen.«
»Sie hatte offensichtlich viele Bewunderer. Wir haben zahlreiche
Briefe von begeisterten Verehrern in ihrer Wohnung gefunden.«
»Könnten Sie mir die Einzelheiten nennen?«
»Nun, es scheint alles mit dem Vandalismus in Sarah Channings
Atelier am Freitag, dem 14. Februar, begonnen zu haben«, erläuterte Bragg.
»Miss Conway wurde am Dienstagabend von ihrem Nachbarn, Louis Bennett, erwürgt
aufgefunden. Sie lag in der Wohnung von Melinda Neville, einer Künstlerin, und
deren Atelier war ebenfalls verwüstet worden. Miss Conway wohnte im selben
Haus wie Miss Neville, in der Wohnung gegenüber.«
»All das habe ich bereits von Inspector
Hickey erfahren«, warf Farr ungeduldig ein. »Und es gibt keine Spuren, die auf
den Verbleib von Miss Neville schließen lassen könnten?«
»Eine andere Nachbarin hat beobachtet, wie
sie am Montag um sechs Uhr abends nach Hause zurückgekehrt ist«, antwortete
Bragg. »Sie hatte keinen Schlüssel bei sich, und Miss Holmes hat sie
hereingelassen. Seitdem hat sie niemand mehr gesehen. Laut dem
Leichenbeschauer ist Miss Conway irgendwann im Laufe des Montags
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