Brenda Joyce
Francesca lächelte nicht mehr und auch sein
Gesicht war ernst geworden. Schließlich zog er seine Hand zurück und sie die
ihre. »Was ist es wirklich, das Ihnen Sorgen bereitet?«, fragte sie leise.
Er hätte beinahe einen Seufzer ausgestoßen. Diese Frau vermochte
in seine Seele zu blicken – so schien es ihm zumindest. Aber es war nicht seine
Absicht, nun über seine verfluchte Frau zu reden. »Ich ersticke in Arbeit und
Low möchte, dass ich mich bei der Durchsetzung der Blue Laws zurückhalte.«
Francescas Augen weiteten sich. Er hatte das Gefühl, sie angelogen
zu haben, was er gewissermaßen durch Auslassung ja auch getan hatte, und er
hasste sich dafür. »Wie könnten Sie zulassen, dass die Saloons weiterhin an Sonntagen
geöffnet bleiben? Die halbe Stadt erwartet von Ihnen, dass Sie eine neue Moral
walten lassen.«
Sein Lächeln kehrte zurück. »Und Sie gehören natürlich zu dieser
Hälfte.«
»Allerdings.« Sie erwiderte sein Lächeln.
»Ich glaube, ich werde eine gute Woche verstreichen lassen, ohne
etwas zu unternehmen. Mal sehen, ob das meine Bemühungen der letzten Wochen
weniger bedrohlich erscheinen lässt.«
Francesca nickte. »Gibt es Neuigkeiten
bezüglich der Ermittlungen? Wenn Sie nicht zu beschäftigt sind, könnten wir
doch mit den drei Galerien beginnen, die Newman heute erwähnte. Außerdem würde
ich mich gern noch einmal am Tatort umsehen. Mich lässt der Gedanke nicht los,
dass wir möglicherweise eine Spur übersehen haben, die uns zu Miss Nevilles
derzeitigem Aufenthaltsort führen könnte.« Sie lächelte in sich hinein, doch es
war eher ein bedrücktes Lächeln.
Ihre Aufrichtigkeit war einfach bezaubernd. Er war noch niemals
einem Menschen mit einem Herzen aus Gold begegnet, wie sie eines besaß. Sein
eigenes Herz schlug mit einem Mal schneller, denn er sah Bilder aus ihrer gemeinsamen
Nacht in dem Eisenbahnabteil auf der Rückfahrt von Kendall vor sich. Bilder von
Francesca mit gelöstem Haar, geröteten Wangen und verklärtem Blick.
Er bot ihr einen Stuhl vor seinem Schreibtisch
an. Während sie Platz nahm, räusperte er sich und verbannte die Bilder aus
seinen Gedanken. »Hickey und Newman haben Levy gestern Abend befragt. Für heute
Vormittag haben sie sich Cohen vorgenommen. Offenbar hat LeFarge tatsächlich
am Montag von eins bis drei im Waldorf Astoria gespeist.«
»Welcher Art ist denn die Beziehung von Mr. Levy zu Mr. LeFarge?«
»Er ist ein Importeur von Seide und anderen kostbaren Stoffen.
Offensichtlich möchte LeFarge seine Spielhöllen neu gestalten lassen und bei
dem Essen ging es um rein geschäftliche Angelegenheiten.«
Francesca mochte es nicht glauben. »Und an dem fraglichen
Morgen?«
Bragg zuckte mit den Schultern. »Keebler, sein Butler, behauptet,
er sei in der Bibliothek gewesen. Aber wir können der Aussage eines bezahlten
Dieners wohl kaum Glauben schenken.«
»Zu schade, dass wir ihn nicht in den Zeugenstand rufen und auf
die Bibel schwören lassen können«, bemerkte Francesca trocken.
»Dazu wird es möglicherweise noch kommen.«
»Glauben Sie, dass LeFarge unser Mörder ist?«, fragte sie ganz
direkt.
»Ich weiß es wirklich nicht, aber der Mann ist aalglatt und
schlüpfrig wie eine Schlange. Der Anschlag auf Sarahs Atelier war
möglicherweise eine Drohung, die Ihr Bruder nicht erkannt hat.«
»Aber warum wurde Miss Conway dann zur selben Zeit ermordet, zu
der Evan angegriffen wurde?«
»Vielleicht war es eine doppelte Drohung – oder ein Versehen.«
»LeFarge besitzt ganz offensichtlich
keinerlei Moral«, stellte Francesca düster fest. Dann fügte sie hinzu: »Es tut
mir leid, dass ich mich gestern so laienhaft verhalten habe, Bragg.«
Er legte ihr seine Hand auf die schmale Schulter. »Ich verstehe
das sehr gut. Sie müssen sich nicht bei mir entschuldigen.«
Sie lächelte ihn an.
Und als er sie so anschaute, fiel ihm wieder ein, wie es war, sie
in den Armen zu halten. Francesca war eine ausgesprochen ehrliche und offene
Frau – ein Grund dafür, dass ihm so viel an ihr lag. Im Gegensatz zu seiner
abscheulichen Frau war sie weder verschlagen noch berechnend. Unterschiedlicher
konnten zwei Menschen kaum sein.
Es fiel ihm nie leicht, allein mit Francesca
zu sein. Da war immer eine gewisse körperliche Anziehung, eine Leidenschaft,
die zwischen ihnen pulsierte. Manchmal fühlte er sich von ihr angezogen wie von
einem kraftvollen Magneten. Wie oft hatte er kurz davor gestanden, alle
Selbstbeherrschung aufzugeben und mit ihr zu
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