Brenda Joyce
Melinda Neville ausfindig zu machen«, erklärte sie. »Miss Melinda
Neville.«
»Soll das ein Witz sein?«,
fragte er.
Francesca
stutzte. »Nein, durchaus nicht.«
»Folgen
Sie mir«, forderte er sie auf Francesca und Joel sahen sich kurz an und gingen mit ihm durch den
hinteren Raum. Er blieb vor zwei Porträts im klassischen Stil stehen. Auf einem
posierten eine Dame und ihre Tochter auf einem goldenen Samtsofa sitzend in
Ballkleidern. Francesca kannte die beiden. »Ich weiß, wer diese Frauen sind«,
sagte sie. »Die ältere Dame ist eine Freundin meiner Mutter, aber ich erinnere
mich nicht mehr an ihren Namen.«
Hoeltz lächelte. »Das ist Mrs. Louise Greeley und ihre Tochter
Cynthia.«
Francesca betrachtete eingehender die große,
attraktive Frau, deren entschlossener Gesichtsausdruck und zielstrebiger Blick
sie in gewisser Weise an ihre eigene resolute Mutter erinnerten. Die Tochter,
die in Francescas Alter sein mochte, wenn nicht ein wenig jünger, war recht mollig, aber ebenfalls hübsch, besaß ein weiches,
volles Gesicht, orangerotes Haar, und Sommersprossen zierten ihre Stupsnase.
Die Tochter wirkte furchtbar unglücklich.
Dann betrachtete Francesca das Porträt, das daneben hing. Darauf
war ein junger, schwarzhaariger Mann um die
zwanzig in einer sehr strammen, beinahe schon militärischen Haltung zu
sehen, den Francesca spontan für einen Offizier gehalten hätte, wäre er nicht
mit einem dunklen Anzug bekleidet gewesen.
Seine Augen waren ebenso schwarz wie sein Haar, die Nase lang, der Mund
zu einer schmalen Linie zusammengepresst. Hätte er gelächelt, wäre er wohl attraktiv gewesen, aber er wirkte viel zu
ernst und streng. Francesca entschied, dass sie ihn nicht mögen würde, wenn sie
sich jemals über den Weg laufen sollten. Die Pose – eine Hand auf die Hüfte
gestützt, dazu dieser strenge Gesichtsausdruck – kam ihr irgendwie bekannt vor.
Hatte sie das Gemälde etwa schon einmal gesehen?
Mit einem Mal kam ihr eine Idee. Ob der Künstler, der LeFarges
Porträt gemalt hatte, auch dieses Gemälde hier angefertigt hatte? Dem
ungeschulten Auge schien es, als ähnelten sich die Bilder.
»Und wer
ist das hier?«, fragte sie schließlich.
»Thomas
Neville«, sagte Hoeltz.
Francesca schnappte nach Luft.
»Miss Nevilles Bruder?«
»Ja. Melindas Bruder. Dürfte
ich jetzt wohl erfahren, warum Sie auf der Suche nach ihr sind?«
Sie blinzelte. Hoeltz hatte von Miss Neville in einer Weise
gesprochen, die darauf schließen ließ, dass sie gute Freunde waren. »Die
Polizei möchte ihr ein paar Fragen stellen und ich ebenso«, sagte sie.
Er zuckte zusammen. Der missmutige Ausdruck
verschwand, und er schaute sie mit großen Augen an. »Und warum?«
»Die
Schauspielerin Grace Conway wurde in Miss Nevilles Wohnung ermordet
aufgefunden«, sagte sie.
Er wurde
kreidebleich. »Die beiden sind Freundinnen ... waren Freundinnen«, brachte er
hervor und wirkte dabei, als drohte er jeden Moment in Ohnmacht zu fallen.
Francesca fasste seinen Arm, um ihn zu stützen. »Darf ich daraus schließen,
dass Sie ebenfalls mit Miss Neville befreundet sind?«
Er blickte sie mit seinen schwarzen Augen fassungslos an und
lachte. Es war ein hysterisches Lachen. »Befreundet? Das trifft es nicht ganz«,
stieß er hervor.
Francesca
wartete geduldig.
»Sie ist meine Mätresse«, sagte
er.
Bragg hatte das
Fifth Avenue Hotel für ihr Mittagessen ausgesucht. Hart schritt einen dunklen,
recht trostlosen Korridor entlang, an dessen holzvertäfelten Wänden Porträts
berühmter und berüchtigter Männer New Yorks aus dem letzten Jahrhundert hingen.
Dunkle, unbewegte Augen starrten auf ihn herab, als er vorüberging. Seine Neugierde
war geweckt. Er hatte kein gutes Verhältnis zu seinem Halbbruder – warum also
die Einladung zu diesem Treffen?
Das Einzige, was sie verband, war die Familie Bragg – und
Francesca. Ganz offensichtlich war sie der Anlass dieses Essens. Ob Rick ihn wohl wieder einmal warnen wollte, die Finger
von ihr zu lassen? Das amüsierte ihn. Er war nicht der Typ Mann, der sich von
irgendjemandem etwas befehlen ließ. Und er konnte sich ungefähr die Reaktion
seines Halbbruders vorstellen, wenn er ihm von seiner Absicht erzählte, die
fragliche Dame zu heiraten.
Der Speisesaal war voll; an jedem Tisch saßen Herren in dunklen
Anzügen und mit Koteletten. Hart verharrte auf der Türschwelle. Er erblickte seinen Halbbruder sofort an dem
begehrtesten Tisch des Hauses, von wo aus man den ganzen Raum
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