Brenda Joyce
hatte.
»Miss Cahill? Wir sind da, Nummer 201 in der Avenue A«, sagte in
diesem Moment der Kutscher, der die Trennscheibe zum Inneren der Kutsche
geöffnet hatte.
Francesca zuckte zusammen. »Oh! Vielen Dank«, sagte sie. Als sie
sich zur Tür drehte, um auszusteigen, erblickte sie Joel, der neben der Kutsche
stand und sie angrinste.
»Wo ham' Sie denn den ganzen Tag gesteckt,
Miss?«, fragte er. Er hatte die Hände in die Taschen seines zu weiten, zerlumpten
Mantels gestopft und zitterte vor Kälte. »Ich hab die ganze Zeit auf Sie
gewartet.«
Francesca strahlte. »Wenn ich das gewusst hätte! Steig nur ein.
Wir werden uns ein wenig in Miss de Labouches Nachbarschaft umsehen und
schauen, ob wir dort etwas herausfinden.« Joel kletterte in die Kutsche und
nahm neben Francesca Platz, während sie dem Kutscher die neue Adresse
mitteilte. »Es ist schon zwei Uhr«, beschwerte sich der Junge.
»Ich weiß. Um zwölf habe ich Calder Hart einen Besuch abgestattet.«
Francesca erzählte dem Jungen einen Teil von dem, was geschehen war.
Joel hörte ihr aufmerksam zu. »Miss Cahill, Sie müssen dem
Commissioner aus dem Weg gehen. Ich hab gesehen, wie sauer er gestern Nacht
gewesen ist. Er will nich, dass Sie sich in diesen Fall einmischen.«
»Ich bin mir dessen durchaus bewusst, aber es ist zu spät, denn
ich stecke bereits mittendrin«, erwiderte Francesca mit fester Stimme. »Ist dir
irgendetwas zu Ohren gekommen, Joel? Was 'munkelt' man denn so auf der Straße?«
»Hier in der Gegend gar nix. Das hab ich auch
nich anders erwartet«, sagte Joel. »Aber ich hör mich gerne ein bisschen für
Sie um, wenn wir zum Haus dieser Frau kommen, deren Namen ich mir einfach nich
merken kann.«
»Das wäre ganz wunderbar«, sagte Francesca lächelnd und tätschelte
seine Hand.
Plötzlich
beugte sich Joel nach vorn und schaute aus dem Fenster. »Teufel noch mal!«,
rief er. »Ist das nich Ihr Bruder?«
»Wie
bitte?« Francesca blickte an dem Jungen vorbei auf die Straße.
Sie waren auf den Broadway abgebogen und
fuhren in einem zügigen Tempo dicht hinter einem Omnibus her in nördlicher
Richtung. Francesca blickte in eine der neben ihnen fahrenden Kutschen und fuhr
unwillkürlich zusammen.
In der Kutsche saß Evan und neben ihm eine Frau, die ihr nicht
unbekannt war.
Aber es war nicht etwa seine Verlobte, Sarah Channing. Es war
Evans Geliebte, die hinreißende und berühmte Bühnenschauspielerin Grace
Conway, und so, wie es aussah, war die Affäre noch nicht beendet.
Vor Georgette de Labouches Haus stand ein uniformierter Polizist
Wache, doch ansonsten gab es keine Anzeichen von Aktivität in dem Haus, wie
Francesca erleichtert feststellte.
Ihre Gedanken weilten noch bei ihrem Bruder, als sie an die Tür
des Nachbarn klopfte. Sie liebte Evan über alles; sie respektierte und
bewunderte ihn – und das obwohl er ihr vor kurzem gestanden hatte, dass er
aufgrund seiner Vorliebe fürs Glücksspiel hoch verschuldet war. Viele Männer
spielten, und Francesca war sich sicher, dass Evan sich bessern würde, sobald
seine Schulden erst einmal bezahlt waren. Ihr Vater hatte versprochen, sie
jetzt, da er mit Sarah verlobt war, für ihn zu begleichen. Wie konnte Evan sich
in dieser Situation nur mit seiner Geliebten herumtreiben? Immerhin war er
jetzt verlobt und schuldete Sarah Channing seine Loyalität und auch sein Herz!
Francesca hatte keinen Zweifel daran, dass es jene Schauspielerin
war, die neben Evan gesessen hatte. Sie hatte die beiden einige Monate zuvor
schon einmal zusammen auf der Straße gesehen, sich aber nicht bemerkbar
gemacht.
Als sie jetzt den Türklopfer an dem Nachbarhaus betätigte, schoss
ihr durch den Kopf, dass Evan sich womöglich nur mit Grace Conway getroffen
hatte, um die Affäre zu beenden.
Ein Gefühl der Erleichterung überkam sie. Natürlich musste das der
Grund sein, warum ihr Bruder sich mit seiner früheren Geliebten verabredet
hatte, denn immerhin war er ein Mann von Charakter!
Ein erschöpft wirkendes Hausmädchen in einem schlecht sitzenden
schwarzen Kleid öffnete die Tür.
Francesca lächelte und reichte ihr ihre Visitenkarte. »Wäre der
Herr oder die Herrin des Hauses zu sprechen?«
Das Mädchen nickte und schloss die Tür wieder,
ohne ein Wort zu verlieren. Francesca warf Joel einen Blick zu. Der Junge seufzte.
»'nen Mörder zu jagen hatte ich mir ja eigentlich anders vorgestellt«, sagte
er. »Ist ziemlich langweilig, was?«
»Wir haben ja gerade erst mit unseren
Nachforschungen
Weitere Kostenlose Bücher