Brenda Joyce
Mann nicht zu Hause war. Auf
diesem riesigen, thronähnlichen Sessel roch es nach seinen Zigarren, seinen
Pferden, seinem Eau de Cologne, dort meinte sie seine Gegenwart ganz intensiv
zu spüren.
Doch heute setzte sie sich nicht an den
Schreibtisch.
Sie hatte schon seit längerer Zeit gefühlt, dass etwas mit Neil
nicht stimmte. Aber Francesca musste sich irren, das kam bei ihrer Schwester öfter vor. Sie meinte es immer
gut, zog aber häufig die falschen Schlüsse aus irgendwelchen Vorfällen.
Connie kehrte Neils Schreibtisch den Rücken
zu. Sie zitterte wie Espenlaub, und das Atmen fiel ihr schwer. Francesca musste
sich einfach irren!
Aber war es möglich, dass sich ein Mensch so
täuschte?
Neils Arbeitszimmer lag im ersten Stock des großen Hauses, das an
der Ecke eines Häuserblocks und dadurch sowohl an der Madison Avenue als auch
an der Sixty-second Street lag. Als Connie und Neil sich verlobt hatten, war
das Grundstück noch unbebaut gewesen, und Andrew Cahill hatte den beiden das
Haus zur Hochzeit geschenkt.
Plötzlich vernahm Connie von draußen das
vertraute Geräusch von Neils Kutsche, die die kurze Auffahrt hinaufgefahren
kam, und zuckte unwillkürlich zusammen.
Sie spürte, wie die Anspannung in ihrem Körper zunahm. Ich werde
nicht weinen, ermahnte sie sich.
Es kam ihr vor, als hätte sie Stunden in dem
Arbeitszimmer ihres Mannes verbracht, während ihr immer und immer wieder
dieselben Gedanken im Kopf herumgekreist waren. Jetzt trat sie ans Fenster und
blickte auf die U-förmige Auffahrt hinunter, die in einem sanften Bogen zur
Sixty-second Street führte. Connie sah, wie Neil aus der Kutsche stieg und auf
das Haus zuging.
Das Herz schlug ihr bis zum Hals, während sie an die erste Zeit
ihrer Ehe zurückdachte. Connie hatte sich bei ihrer ersten Begegnung fünf Jahre
zuvor sofort in Lord Montrose verliebt. Natürlich hatte er ihr auch Angst
eingejagt, denn sie hatte sich nicht einmal in ihren kühnsten Träumen
vorgestellt, dass sie einen so vornehmen, so gut aussehenden, intelligenten und
weltmännischen Ehemann bekommen würde. Im ersten Jahr ihrer Ehe hatte er ihr
das Gefühl gegeben, als sei sie erst vierzehn Jahre alt. Damals war sie sich
unbeholfen und linkisch vorgekommen.
Diese Zeiten waren natürlich längst vorbei. Connie war eine
erwachsene Frau, die Mutter zweier Kinder, und war darin geübt, den Haushalt
zu führen, für ihre Töchter zu sorgen und an jedem gesellschaftlichen Anlass
teilzunehmen, den Neil als wichtig erachtete. Sie unterstützte zudem einige
Wohltätigkeitsgesellschaften und veranstaltete zwei Mal im Jahr ihre eigenen
Wohltätigkeitsempfänge. Für viele galt sie als die ideale Ehefrau und Mutter,
und ihre Freundinnen fragten sie immer wieder, wie sie das nur alles schaffe.
Sie hatte stets geantwortet, dass alles ganz leicht sei, wenn man
eine Ehe wie sie und Neil führte.
Bei diesem Gedanken atmete Connie
unwillkürlich tief durch. Welche Art von Ehe führte sie denn eigentlich? Doch
diese Frage flößte ihr Furcht ein, und sie verdrängte sie schnell wieder.
Irgendwie schaffte sie es, einen Fuß vor den anderen zu setzen und
zur Tür zu gehen. Als sie sie öffnete, eilte gerade ein Hausmädchen vorbei.
»Dottie? Bitten Sie doch Lord Montrose, in sein Arbeitszimmer zu
kommen.«
»Jawohl, Ma'am«, erwiderte das Mädchen, hielt dann inne und
blickte Connie mit großen Augen an. »Lady Montrose? Ist Ihnen nicht gut?«
Connie bemerkte, dass sie sich unwillkürlich an den Türpfosten
klammerte, als habe sie Angst hinzufallen. »Es geht mir gut, Dottie. Vielen
Dank.« Als sie zurück ins Arbeitszimmer trat, hatte sie das merkwürdige Gefühl
zu schweben.
Plötzlich kam ihr ihr ganzes Leben seltsam
unwirklich vor. Wie oft hatte sie insgeheim gedacht, dass Neil einfach der perfekte
Ehemann war?
Tränen schossen ihr in die Augen, als sie sich
vorstellte, wie Neil mit einer anderen Frau jenen Akt vollzog, der niemals
außerhalb der Bande der Liebe und der Ehe vollzogen werden sollte. Wie hatte
Francesca nur so etwas behaupten können? Sie hatte gesagt, Neil und Eliza
Burton im Dunkeln teilweise entkleidet zusammen auf dem Sofa gesehen zu haben.
Und angedeutet, dass sie sich geliebt hatten. Hieß das notwendigerweise, dass
es auch wirklich geschehen war? Wahrscheinlich war es gar nicht Neil gewesen;
im Dunkeln konnte man schließlich schnell jemanden verwechseln.
Connie fühlte sich ganz krank. Nein, Francesca
hatte sich nicht geirrt. Neil war in letzter Zeit so
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