Brenda Joyce
finden, eine
für diesen Fall so wichtige Zeugin? Wie kann das ein Trick sein? Wir müssen
unbedingt mit dieser Frau sprechen, Joel, das weißt du doch.«
»Es ist 'n Trick, und ich versteh's ja selbst
noch nich.« Er nickte ihr zu, sagte: »Tut mir Leid, Miss«, und sprang aus der
Kutsche.
Francesca starrte ihm für einen Moment
gedankenverloren nach. Dann richtete sie sich plötzlich kerzengerade auf.
Wollte Bragg sie etwa bei den Ermittlungen aus dem Weg haben?
Glaubte er etwa, dass sie ihm nicht mehr in
die Quere kommen würde, wenn er sie bat, Miss de Labouche ausfindig zu machen?
Dass er sie damit vom wesentlichen Teil der Ermittlungen fern halten konnte?
Ihr schwirrte der Kopf. Du liebe Güte! Er schickte sie für nichts
und wieder nichts los, und in der Zwischenzeit löste er den Fall selbst!
Aber so leicht würde sie sich nicht ins Bockshorn jagen lassen, oh
nein!
»Joel!« Sie öffnete die Kutschentür und streckte ihren Kopf
hinaus. Joel blieb wie angewurzelt stehen. »Du bist ein kluger Junge!«, rief
sie.
Er strahlte sie an.
Eine knappe
halbe Stunde später blickte Francesca an der Fassade des Hauses ihrer
Schwester hinauf. Sie machte sich große Sorgen um Connie und musste unbedingt
mit ihr reden. Ein Besuch bei ihr würde ihr außerdem helfen, ihre Gedanken im Zaum zu
halten. Denn je länger sie darüber nachdachte, desto überzeugter war sie, dass
Joel Recht hatte und Bragg versuchte, sie von der eigentlichen Ermittlung
abzulenken. Aber unter ihrer Wut lauerte zudem eine große Traurigkeit – sie
konnte nicht vergessen, dass Bragg gesagt hatte, er hege nichts weiter als
freundschaftliche Gefühle für sie.
Warum bloß?
Fand er sie nicht attraktiv?
Oder war sie zu exzentrisch, zu wenig weiblich für seinen Geschmack?
Sie verscheuchte die Gedanken an Bragg; schließlich hatte sie ihre
Arbeit zu erledigen und war verpflichtet, den Fall zu lösen – ob nun mit oder
ohne Bragg an ihrer Seite.
»Miss Cahill?«
William, einer der Dienstboten ihrer Schwester, hatte die Kutsche
entdeckt und war aus dem Haus getreten, um ihr die Tür aufzuhalten. Sie
lächelte ihn verkrampft an und ließ sich von ihm aus der Kutsche helfen.
Das Haus der Montroses war ein vierstöckiges,
sandfarbenes Steingebäude. Die gepflasterte Auffahrt formte ein U um eine
Insel, auf der im Frühjahr und Sommer Ziersträucher und zwei prächtige Ulmen
blühten. Ein Weg führte durch einen Torbogen in einen kleinen Innenhof, der von
hohen Ahornbäumen umgeben war, die jetzt gänzlich kahl waren.
Francesca sah, dass ein großer Brougham und
ein kleinerer Gig vor dem Haus standen, was bedeutete, dass sowohl Connie als
auch Neil zu Hause sein mussten. Das in Stein gemeißelte, rot, blau und Silber
bemalte Wappen der Montroses – darauf war ein Löwe zu sehen, der eine Pranke
auf die Erdkugel legte – hing über der Eingangstür.
Francesca wurde hineingeführt. Die
Eingangshalle war hell und luftig mit einem glänzenden, beigefarbenen Marmorboden und
weißen, verputzten Wänden. Mehrere, teilweise jahrhundertealte
Familienporträts von Vorfahren der Montroses hingen an den Wänden. Francesca
lächelte dem Dienstboten erneut zu, und dieses Mal gelang es ihr schon besser.
»Würden Sie meiner Schwester bitte sagen, dass ich hier bin? Ich werde im Salon
warten«, sagte sie.
Der Bedienstete nickte und verschwand.
Francesca betrat den feudalen Raum mit seinen
überwiegend in Gelb- und Goldtönen gehaltenen Möbeln, den man direkt von der
Eingangshalle aus erreichte. Während Connie in der Villa der Cahills ein und
aus ging, wie es ihr gefiel, hatte Francesca schon vor langer Zeit entschieden,
sich nicht in der gleichen Weise im Haus ihrer Schwester zu bewegen. Es wäre
ihr unangemessen erschienen.
Francesca setzte sich nicht, sondern
betrachtete im Stehen das beinahe lebensgroße Porträt ihrer Schwester, das Neil
kurz nach ihrer Verlobung in Auftrag gegeben hatte. Es hing an der hinteren
Wand des Salons und dominierte das ganze Zimmer. Connie war sehr hübsch
anzusehen in ihrem lavendelfarbenen Ballkleid und mit dem bezaubernden Lächeln,
das ihre Lippen umspielte. Sie schien vor Zufriedenheit und Glück zu strahlen.
»Wie kannst du es wagen, noch einen Fuß in dieses Haus zu setzen?«
Beim Klang von Montroses Stimme wirbelte
Francesca herum, und ihr wäre vor Schreck beinahe das Herz stehen geblieben.
Er schritt wütend auf sie zu. »Hast du gehört, was ich gesagt
habe, Francesca?«
Sie wich zurück. »Neil ...«
»Ich
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