Brenda Joyce
Nacht in einer kalten, unbequemen Zelle,
ohne etwas zu essen und zudem noch getrennt voneinander, wird sie schon dazu
bringen, dass sie auspacken.«
»Aber das ist grausam!«
»Mag sein. Aber schlimmer wäre es, wenn Randalls Mörder ungestraft
davonkäme«, sagte Bragg.
»Ich mag Daisy und Rose«,
beharrte Francesca. »Und ich finde es abscheulich, dass sie ins Gefängnis
geworfen wurden.« Seine Brauen wanderten in die Höhe. »Wirklich?«
»Ja, wirklich.« Sie schaute ihm in die goldbraunen Augen.
»Manchmal sind Regeln dazu da, um gebrochen zu werden.«
»Und wann sollte das Gesetz Ihrer Meinung nach ignoriert oder
sogar missachtet werden?«
»Das ist eine philosophische Frage, und wir könnten den ganzen
Tag und die ganze Nacht hier sitzen und darüber debattieren«, erklärte
Francesca.
»Ja, das könnten wir.« Bragg schüttelte den Kopf, lächelte aber
dabei. »Ich glaube nicht, dass es hier um Sympathie oder Antipathie geht. Sie
interessieren sich für Daisy und Rose, weil sie so ganz anders sind als die
Frauen, die Sie kennen – so ganz anders als Sie selbst. Und Sie werden sich so
lange mit der Frage herumschlagen, warum zwei Damen von Stand sich für dieses
Leben entschieden haben, bis Sie es verstanden haben, habe ich Recht?«
Sie sah ihn blinzelnd an. »Ja, vielleicht. Möglicherweise durchschauen
Sie mich ja, Bragg, obgleich wir uns noch nicht so lange kennen.« Ihr Herz
begann heftig zu pochen.
»Ich habe Ihnen ja bereits versichert, dass ich ein ausgesprochen
guter Menschenkenner bin.«
Sie lächelten sich an, und Francesca fragte
sich, ob Bragg wohl auch die Spannung spürte, die zwischen ihnen herrschte. Sie
zögerte für den Bruchteil einer Sekunde und platzte dann heraus: »War der Grund
für Ihre Absage unseres Ausflugs wirklich rein beruflicher Natur?«
»Nein«, sagte er.
»Warum dann?«, flüsterte sie.
Er presste die Lippen aufeinander. Dann beugte er sich vor und
öffnete das kleine Fenster zwischen der Kabine und dem Kutschbock. »Kutscher,
biegen Sie nach rechts ab in die Houston Street«, rief er.
Als er sich zurücklehnte, sah er Francesca an, doch sie konnte
seinen Blick nicht deuten. »Nachdem ich so spontan den Vorschlag zu diesem
Ausflug aufs Land gemacht hatte, ist mir klar geworden, dass mein Verhalten
völlig unpassend und irreführend war. Ich entschuldige mich dafür, Francesca.«
Sie hatte das Gefühl, als würde ihr der Boden unter den Füßen
weggerissen. »Unpassend? Wie das?«
Er blickte zur Seite. »Meine Absichten waren von Anfang an rein
freundschaftlicher Natur. Es tut mir Leid, wenn ich Sie diesbezüglich in die
Irre geführt habe.«
Nachdem Bragg am Polizeipräsidium ausgestiegen war, hatte
Francesca Joel versichert, dass ihre Arbeit für den heutigen Tag getan sei. Jetzt waren sie auf dem Weg zu seinem Stadtviertel,
wo sie ihn einige Straßen entfernt von der Wohnung seiner Familie absetzen
sollte. »Wir werden unsere Arbeit morgen fortsetzen«, sagte sie, als die
Kutsche zum Stehen kam. »Um wie viel Uhr?«, fragte Joel eifrig.
»Was hältst du von zehn? Könntest du mich zu
Hause abholen?«
»Klar!« Er grinste. Dann veränderte sich sein Gesichtsausdruck plötzlich,
und anstatt wie üblich aus der Kutsche zu springen, blieb er sitzen und schaute
Francesca an.
Sie blickte in seine dunklen Augen mit den langen schwarzen
Wimpern. »Gibt es noch etwas?«, fragte sie.
Er zögerte zunächst, platzte dann aber heraus: »Miss, das ist 'n
Trick, bloß damit Sie's wissen!«
Sie blinzelte verwirrt. »Ich habe keine Ahnung, wovon du
sprichst.«
Er seufzte. »Der Polyp! Der Polyp, dem Sie schöne Augen machen.«
Francesca spürte, wie ihre Wangen zu brennen begannen. »Jetzt hör
mir mal zu, Joel! Zum einen mache ich Rick Bragg keine schönen Augen« – das war
eine glatte Lüge –, »und zum anderen weiß ich wirklich nicht, wovon du
sprichst.«
»Er hat Ihnen nich mal in die Augen gucken können, als er's gesagt
hat. Er meint es gar nich so!«
»Was hat
er nicht so gemeint?«
»Dass Sie seinen Partner
abgeben sollen und all das. Dass er mit Ihnen zusammenarbeiten will und Sie nur
ihm Bericht erstatten dürfen, ganz so, als gehörten Sie zu seiner Truppe.« Sie
starrte den Jungen verblüfft an.
»Das ist 'n Trick«, wiederholte Joel grimmig. »Jede Wette, der hat
noch 'n Ass im Ärmel. Vergessen Sie das nich!«
»Aber warum sollte er mir dann überhaupt vorschlagen, dass wir
zusammenarbeiten? Warum sollte er mich bitten, Miss de Labouche zu
Weitere Kostenlose Bücher