Brenda Joyce
kühl. »Ich weiß
nicht, ob ich wütender auf dich oder auf mich selbst sein soll.«
Sie blickte durch einen Tränenschleier zu ihm
auf, und plötzlich ließ er sie mit einem scharfen Laut, der wie ein Stöhnen
klang, los.
»Ich habe dich immer bewundert, Neil«, wiederholte sie
schluchzend. »Aber diese Bewunderung ist erloschen, als ich dich mit Eliza
gesehen haben! Es war so, als hätte man mir einen Eimer mit eiskaltem Wasser
ins Gesicht geschüttet, um mich aufzuwecken! Wie kannst du auch nur andeuten,
dass ich heimlich in dich verliebt gewesen sei und alles tun würde, um deiner
Ehe, meiner Schwester, meinen Nichten zu schaden?«
Er ballte die Hände zu Fäusten. »Was macht es
schon für einen Unterschied, was ich sage oder nicht sage? Der Heilige ist zum
Sünder geworden und wird es für immer und ewig bleiben.«
Sie starrte ihn an. »Unsinn! Mit der Zeit wird das alles vorbeigehen,
das weißt du ebenso gut wie ich. Ich kann nur hoffen, dass es dir und Connie
gelingt, einen Weg zu finden, zu vergeben und zu vergessen, und dass euch dies
alles nur noch enger zusammenschmiedet.« Neil stieß ein verächtliches Schnauben
aus. »Aber ich wünschte, du hättest meiner Schwester nicht das Herz
gebrochen!«, rief Francesca aus.
»Ist dir jemals in den Sinn gekommen, dass vielleicht mein Herz
dasjenige ist, das gebrochen wurde?«
Sie starrte ihn verblüfft an.
»Wie bitte?«, flüsterte sie. »Trotz deines Übereifers weißt du noch lange nicht
alles.« Er wandte sich ab. »Es reicht, Francesca. Ich habe keine Ahnung, warum
du hier bist – und es ist mir auch egal.«
Seine
Worte verletzten sie. »Neil ...«
»Verschwinde aus diesem Haus«, sagte er mit ausdrucksloser Stimme
und wandte sich ab.
»Neil!«,
rief Francesca fassungslos.
Er drehte sich nicht um, als er auf der Schwelle des Zimmers
stehen blieb. Sie starrte auf seinen breiten Rücken. »Verschwinde aus diesem
Haus, Francesca, bevor ich dich eigenhändig hinauswerfe«, brachte er mühsam
hervor.
Sie wich
zurück.
»Du bist hier nicht mehr
willkommen. Und du wirst hier nie wieder willkommen sein. Habe ich mich klar
ausgedrückt?« Francesca war sprachlos.
»Raus mit
dir!«, brüllte er und wirbelte herum.
Sie rannte an ihm vorbei aus dem Salon und
eilte aus dem Haus.
Kapitel 10
SAMSTAG, 1. FEBRUAR 1902 – 19.45 UHR
Der letzte
Ort, an dem Francesca in diesem Moment sein wollte, war die Oper.
Aber die in ganz Europa berühmte Signora
Valciaolo gab an jenem Abend am Metropolitan Opera House ihr amerikanisches
Debüt. Seit sie vor einigen Jahren ihre Mitgliedschaft an der Academy of
Music aufgegeben hatten, hatten die Cahills dort eine Loge, und dieser
Abend war bereits Monate im Voraus geplant gewesen. Im Anschluss an die
Vorstellung sollte ein luxuriöses Abendessen im Delmonico's folgen.
Francesca saß neben ihrem Vater, der doch tatsächlich Zeitung
las, während sich das Opernhaus füllte. Julia befand sich noch in dem riesigen
Foyer und machte ihre Runde unter den Opernliebhabern, von denen die meisten zu
ihrem Freundeskreis zählten.
Francesca fühlte sich krank. Der Kummer, den
sie empfand, bereitete ihr körperliche Beschwerden. Sie war nicht in der Lage
gewesen, etwas zu essen, bevor sie das Haus verließen, was ihre Mutter dazu
veranlasst hatte, ihr einen stirnrunzelnden Blick zuzuwerfen. In diesem Moment
hatte sich Francesca ernsthaft gefragt, ob sie es schaffen würde, den Abend zu
überstehen.
Neil konnte seine Worte unmöglich ernst gemeint haben; sie waren
doch schon seit Jahren Freunde! Er hatte doch immer wieder beteuert, dass er
sie als seine kleine Schwester betrachtete! Und im Grunde war sie das durch
seine Heirat mit Connie ja auch geworden.
Aber nun schien er sie zu verabscheuen. Francesca hoffte inständig,
dass er ihr mit der Zeit doch noch vergeben würde, dass sie Connie die Wahrheit
erzählt hatte.
Ihr war leider erst zu spät klar geworden, dass sie mit einer solchen
Feindseligkeit bei ihrem Schwager nicht fertig werden würde. Und dass die
Zuneigung, die man fünf Jahre lang für einen Menschen gehegt hatte, nicht
einfach so starb. Sie brachte es nicht fertig, ihn zu hassen, nicht einmal,
nachdem sie erfahren hatte, was für ein Schuft er war.
Ach, wenn es Neil und Connie doch nur gelingen
würde, ihre Ehe zu retten! Francesca hätte sich nichts mehr gewünscht, als dass
das Leben der beiden wieder so harmonisch verliefe wie früher. Sie fragte sich,
was Neils Bemerkung über sein gebrochenes Herz wohl zu
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