Brenda Joyce
zu sein. Sie sang von einer unglücklichen Liebe,
wodurch Francesca ihren Kummer nur noch stärker empfand.
Als sie ihren Blick über die anderen Logen schweifen ließ, sah
Francesca, dass ein groß gewachsener Mann soeben die Loge am anderen Ende des
Mezzanins betreten hatte. Sie erkannte ihn sofort.
Es war Calder Hart, der sich gerade vorbeugte,
um die Wange einer Frau zu küssen, die Francesca zwar kannte, an deren Namen
sie sich aber nicht erinnerte. Hart sah umwerfend aus in seinem schwarzen
Smoking. Die Frau war eine zierliche, hübsche Brünette, die erst kürzlich
verwitwet war und sowohl das Vermögen ihres Mannes als auch das ihres ebenfalls
verstorbenen Vaters geerbt hatte. Ihre Loge war gut gefüllt; außer Calder
waren ungefähr ein Dutzend andere Gäste da.
Francesca richtete ihr Opernglas auf das Paar. Calder hatte sich
immer noch zu der Witwe heruntergebeugt, die ihm gerade etwas ins Ohr
flüsterte. Francesca ließ ihren Blick an dem behandschuhten Arm der Frau bis zu
ihrer Hand gleiten und sah, dass diese auf Harts Taille ruhte. Sie erstarrte.
Ob sie auch eine seiner Geliebten war? Mit wie vielen Frauen konnte ein Mann
eigentlich gleichzeitig ein Verhältnis haben?
Plötzlich richtete sich Calder Hart auf und schaute in Francescas
Richtung. Sie ließ rasch das Opernglas sinken und spürte, dass sie rot wurde.
Zwischen den beiden Logen lagen lediglich fünf andere, und Francesca konnte
Harts Züge deutlich genug ausmachen. Ihre Blicke begegneten sich.
Er lächelte – ein wenig süffisant, wie ihr schien – und verbeugte
sich leicht.
Sie errötete heftiger und richtete ihr Glas rasch auf die Operndiva
auf der Bühne.
In diesem Moment wandte Julia ihr den Kopf zu
und sah sie an, doch Francesca ignorierte sie. Was mochte Harts Verbeugung
bloß zu bedeuten gehabt haben?
Sie blickte immer noch durch ihr Glas, spähte aber aus den
Augenwinkeln erst rechts, dann links daran vorbei. Dabei stellte sie fest, dass
einige Leute zu ihr herüberblickten – und zwar nicht nur Damen, sondern auch
Herren.
Francesca versuchte sich auf das Drama zu
konzentrieren, das sich unten auf der Bühne entfaltete, aber es war ein schier
unmögliches Unterfangen, da ihre Gedanken immer wieder zu Calder Hart
zurückkehrten. Aus irgendeinem Grund schien er mit ihr spielen zu wollen,
anders konnte sie sich sein Verhalten nicht erklären.
Nach einer Weile richtete Francesca ihr Opernglas erneut unauffällig
auf die Loge der Witwe – genauer gesagt auf ihn.
Er folgte gebannt der Vorstellung, während seine verwitwete
Freundin so nahe neben ihm saß, dass sich ihre Körper berührten. Wenn sie noch
keine Affäre miteinander hatten, würden sie gewiss schon bald eine beginnen.
Dann richtete Francesca ihr Glas mit einer
ruckartigen Bewegung wieder auf Signora Valciaolo. Einige endlose Minuten
verstrichen, in denen Francesca erneut zahlreiche Blicke auf sich ruhen fühlte,
unter anderem auch den ihrer Mutter. Und das war wirklich eigenartig, denn Julia
liebte Musik über alles. Eine Oper, ein Ballett oder auch ein Musical fanden
sonst immer ihre ungeteilte Aufmerksamkeit, doch an diesem Abend schien dies
ausnahmsweise einmal nicht der Fall zu sein.
»Francesca?«, flüsterte Sarah plötzlich in
Francescas Ohr.
Sie ließ das Glas sinken und drehte den Kopf in Sarahs Richtung.
»Ja?«
»Wer ist dieser Mann?«
Francesca hoffte, dass sie nicht errötete, während sie Sarahs
Blick folgte. Hart war noch immer vollkommen vertieft in diese ganz offenbar
faszinierende Oper, die Francesca so gar nicht zu genießen vermochte. Sie
wandte sich wieder Sarah zu. »Sein Name ist Calder Hart. Warum?«
»Ich glaube, er ist sehr angetan von dir. Er
schaut dauernd zu dir herüber«, sagte Sarah so leise, dass nur Francesca es
hören konnte.
Francesca sah sie blinzelnd an. »Wenn er von
jemandem angetan ist, dann von ...«, wisperte sie, verstummte dann aber rasch
wieder, da Julia offenbar versuchte, ihrem Gespräch zu lauschen. Dabei hatte
Francesca ihrer zukünftigen Schwägerin gerade enthüllen wollen, dass Hart
unpassenderweise Interesse an ihrer Schwester zu haben schien. »Du täuschst
dich«, fuhr sie stattdessen flüsternd fort. »Außerdem ist Hart der Typ Mann,
der eine Affäre nach der anderen hat. Er hat es nie nur auf eine einzige Frau
abgesehen.«
Sarah schaute sie ungläubig an und schüttelte den Kopf. »Wie
schade! Ich hatte den Eindruck, als würde er nur an dich denken. Ist das etwa
der Calder Hart, der sich einen
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