Brenda Joyce
möglichen
Mordverdächtigen.«
»Wie bitte?« Evan sprang auf, wobei er kaum schwankte. Eines muss
man ihm lassen, dachte Francesca, er verträgt offenbar einiges. »Sag bloß
nicht, dass du dich wieder in irgendeine gefährliche Situation gebracht hast!
Hast du denn deine Lektion immer noch nicht gelernt?«
»Doch, das habe ich.« Sie erhob sich ebenfalls. »Evan, Connie hat
Montrose verlassen und die Mädchen mitgenommen.«
Er erstarrte.
»Ich habe keine Ahnung, wo sie steckt. Montrose ist furchtbar
wütend – auf mich übrigens –, und wir dürfen Mama und Papa nichts davon
erzählen«, fügte Francesca eilig hinzu.
Er ergriff ihre Schultern mit beiden Händen.
»Es ist wohl an der Zeit, dass du mir einmal einiges erklärst«, sagte er, und
plötzlich kam er ihr überhaupt nicht mehr betrunken vor.
»Ich hab mich
schon gefragt, wo Sie stecken«, sagte Joel, als sie ihn zwei Stunden später,
nach dem sonntäglichen Mittagessen, vor dem Haus traf. Evan hatte sich
geweigert, daran teilzunehmen, und es stattdessen vorgezogen, seinen Rausch
auszuschlafen – allerdings erst, nachdem er Francesca ermahnt hatte, sich
niemals wieder in das Privatleben anderer Leute einzumischen, und ganz
besonders nicht in Connies. Offenbar gab er, genau wie Neil, Francesca die
Schuld an der Trennung – wenn es denn überhaupt eine Trennung war. Wie Bragg
hatte Evan geraten, sie solle Connie in Ruhe lassen, da diese
sich gewiss melden würde, wenn sie ihre Schwester sehen wollte.
Connie, Neil und die Mädchen kamen sonntags oft zum Mittagessen
in die Villa der Cahills, aber Montrose hatte angerufen und seine Familie
entschuldigen lassen. Julia hatte Francesca fragend angeschaut, als sie von
dem Anruf erzählte, doch sie hatte eine Unschuldsmiene aufgesetzt.
Nach dem Essen hatte Francesca ihre Eltern gebeten, die kleinere
der beiden Kutschen für einige Höflichkeitsbesuche benutzen zu dürfen.
Jetzt wies sie den Kutscher an, noch einmal zum Haus der Witwe
Randall zu fahren.
»Joel, wir müssen unbedingt Miss de Labouche finden«, wandte sie
sich dann an den Jungen. »Hast du herausgefunden, wo Mr Anthony wohnt?«
»Bis jetzt noch nich«, erwiderte er und rieb
mit beiden Händen über die Ärmel seines Mantels. »Anthony muss ein seltsamer
Vogel sein. Keiner scheint zu wissen, wo er wohnt, und er ist die letzten
Abende nirgendwo in der Stadt aufgetaucht. Das Willard's auf dem West
Broadway ist seine Stammkneipe, da haben sie ihn aber seit Freitag nich mehr
gesehen.«
Francesca blickte ihn an. Freitag – der Mordabend. »Ist das denn
ungewöhnlich für ihn?«
Joel nickte. »Er taucht da wohl fast jeden Abend für eine oder
zwei Runden auf.«
»Geht Mr Anthony einem ehrbaren Beruf nach?«, fragte Francesca.
Joel grinste. »Wie ich schon sagte, er spielt gern. Und er soll
ein guter Hochstapler sein.«
»Ein
Hochstapler?« Francesca schnappte nach Luft.
»Sieht ganz
so aus«, erwiderte Joel schulterzuckend.
Francesca seufzte. Offenbar war Anthony kein anständiger Mensch,
und seine Schwester besaß auch nicht gerade den besten Ruf. Vielleicht hatte
Bragg ja doch Recht, und man musste Georgette wirklich zum Kreis der
Verdächtigen zählen. Auf jeden Fall schien jetzt nicht nur sie, sondern auch
ihr Bruder verschwunden zu sein.
»Hören Sie mal, Miss, Bess, 'ne Freundin von
mir, ist heute Morgen aus dem Stadtgefängnis rausgekommen. Die hatten ihr was
angehängt, an dem sie nicht schuld war. Aber viel wichtiger ist, dass Bess Ihre
neuen Freundinnen kennt«, sagte Joel.
»Daisy und Rose?«, fragte Francesca gespannt. »Los, erzähl schon!«
»Sie hat gehört, wie sich die beiden
unterhalten haben, bevor sie getrennt wurden, und wissen Sie was?« Joel lehnte
sich zu ihr hinüber und flüsterte ihr zu: »Hart lügt. Er war Freitagabend gar
nich bei den beiden. Sie hatten andere Freier.« Francesca starrte entgeistert
Joel an. »Ach, du meine Güte!«, sagte sie.
Als Francesca
um kurz vor fünf bei Henrietta Randall eintraf, wurde sie erneut in den Salon
geführt, in dem sie sich bereits am Vormittag aufgehalten hatte. Allerdings
nahm sie dieses Mal Joel mit hinein. Das Hausmädchen teilte ihr mit, dass Mr
Randall sehr bald herunterkommen würde.
»Komisches Zimmer!«, sagte Joel und rümpfte die Nase, während er
einen Porzellan-Delfin mit Goldtressen um den Körper berührte. »Was zum
Kuckuck ist das?«
»Die meisten Leute halten es für einen Fisch, aber es ist eigentlich
ein Säugetier, da es Luft atmet. Ich glaube,
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