Brenda Joyce
den
Straßen, und sie kamen gut voran. Francesca blickte aus dem Fenster zum Central
Park hinüber, der ihr durch den herabfallenden Schnee, der im Schein des trüben
gelben Lichtes der Straßenlaternen wie ein Schleier wirkte, irgendwie
unwirklich vorkam. Sie war niedergeschlagen. Hart war ein außergewöhnlicher
Mann, und sie war überzeugter denn je, dass er nicht halb so bösartig war, wie
er die Welt offenbar glauben machen wollte. Aber er steckte in ernsthaften
Schwierigkeiten, weil er die Polizei angelogen und ein falsches Alibi genannt
hatte. Das machte ihn natürlich nur noch verdächtiger. Und obwohl Francesca
nach wie vor glaubte, dass Hart gar nicht fähig wäre, einen Mord zu begehen –
von dem Mord an seinem eigenen Vater ganz zu schweigen –, hatte sie doch Angst
vor der Wahrheit.
Bedauerlicherweise würde sie Bragg berichten
müssen, was sie soeben erfahren hatte; eine Neuigkeit von so großer Tragweite
konnte sie ihm schließlich nicht verschweigen. Und möglicherweise war Bragg ja
auch imstande zu helfen. Francesca war davon überzeugt, dass die Blutsbande
zwischen Bragg und Hart im Ernstfall stärker sein würden als die Feindschaft,
die zwischen ihnen herrschte.
Sie blickte aus dem Fenster der Kutsche und sah, dass sie gerade
an ihrem Elternhaus vorbeifuhren. Sie seufzte, und ihre Gedanken kehrten für
einen Moment zu ihrer Schwester zurück. Wo mochte Connie wohl jetzt sein?
Bragg hatte vermutet, dass sie sich in irgendeinem Hotel aufhielt,
aber Francesca bezweifelte es. Connie war nicht der Mensch, der Gott und die
Welt an ihren Problemen teilhaben ließ, ganz besonders nicht, wenn es dabei um
ihre Ehe ging. Sie seufzte erneut und bemerkte, dass sie sich der Fifty-Nineth
Street näherten. Das vornehme und elegante Plaza Hotel lag jetzt zu ihrer
Rechten. Im Restaurant des Plaza aß Connie am liebsten, und hier traf sie sich
auch oft mit ihren Freundinnen. Bei dem Gedanken setzte sich Francesca mit
einem Ruck auf. Beth Anne Holmes.
Beth Anne Holmes war Connies beste Freundin
und die einzige, die noch unverheiratet war. Francesca hämmerte gegen die
Trennscheibe, um den Kutscher auf sich aufmerksam zu machen. »Jennings! Wir
müssen umkehren. Fahren Sie mich zum Haus der Holmes!«, rief sie. Ihr Herz
klopfte wie verrückt. Es war doch ganz klar, Connie musste bei Beth Anne sein!
Warum hatte sie nur nicht schon früher daran gedacht?
Fünf Minuten später hielt der Brougham bereits vor dem großen
Haus, das an der Ecke der Thirty-eigth Street und der Fifth Avenue stand.
Francesca hatte gehofft, eine von Montroses Kutschen vor dem Haus zu
entdecken, aber zu ihrem Entsetzen stand dort die zweite Kutsche der Cahills.
Francesca wusste sofort, dass es Julia sein musste, die der Familie Holmes
einen Besuch abstattete.
Wahrscheinlich hatte ihre Mutter herausbekommen, dass Connie
verschwunden war, und war sehr rasch zu derselben Schlussfolgerung wie Francesca
gelangt. Francesca sprang schon aus der
Kutsche, bevor Jennings sie gänzlich zum Stehen gebracht hatte. Dann eilte sie
die kurze Auffahrt und die Vordertreppe hinauf. Auf ihr Klopfen hin wurde die
Haustür von einem Dienstboten geöffnet. Francesca stand Beth Anne nicht besonders
nah und besuchte sie dementsprechend nur sehr selten, sodass sie den Diener
genauso wenig kannte wie er sie. Aus dem Innern des Hauses konnte sie mehrere
Frauenstimmen hören und erkannte nicht nur die von Beth Anne, sondern auch die
Stimme ihrer Mutter.
»Mein Name ist Francesca Cahill. Ich glaube, meine Mutter ist
hier«, sagte sie atemlos.
»Mrs Cahill befindet sich im blauen Salon«, erwiderte der
Dienstbote. Francesca zog hastig ihren Mantel aus, den sie dem Diener zusammen
mit ihrem Muff, dem Hut und den Handschuhen förmlich in den Arm drückte.
Bevor er überhaupt eine Möglichkeit hatte,
ihre Überkleidung wegzulegen, geschweige denn Francesca in den Salon zu
begleiten, stürzte sie bereits auf die beiden Teakholztüren auf der
gegenüberliegenden Seite der Eingangshalle zu und riss sie auf.
Connie saß auf einem der beiden blau-gold
gestreiften Sofas, die in dem Salon standen, und Julia saß neben ihr in einem
Lehnsessel und tätschelte ihre Hand. Beth Anne, ein pummeliges, hübsches
Mädchen mit Sommersprossen und lockigem, roten Haar, stand nicht weit von den
beiden entfernt. Connie strahlte eine eigenartige Ruhe aus, es wirkte gar nicht
so, als hätte sie soeben ihren Ehemann verlassen. Tatsächlich sah sie in ihrem
schlichten, aber hervorragend
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