Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Brennaburg

Brennaburg

Titel: Brennaburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang David
Vom Netzwerk:
schließlich würden sogar die Hoftiere das Weite suchen.
    In sich gekehrt, setzte er seinen Weg fort, überquerte die Brücke und lief mitten hinein in die Wiese. Bei der Stelle angelangt, auf der er vorhin gelegen hatte, stockte er. Verwundert gewahrte er, daß sich das Gras noch nicht wieder erhoben hatte. So wenig Zeit war also seither verflossen!
    Etwas Helles geriet in sein Blickfeld: das Gebäude, an dem er bis vor kurzem gearbeitet hatte. Schmuck sah es aus, mit seinem strohgedeckten Dach und den aus glattgehobelten Brettern gefügten Wänden, ein Bild, das ihn sogar jetzt mit Stolz erfüllte.
    Plötzlich fiel ihm ein, daß er, falls ihn der Graf morgen fortschickte, an der Scheune vorbei mußte, und während er sich ausmalte, wie der Hof hinter ihm stetig kleiner wurde, spürte er, daß die Zweifel in ihm zu weichen begannen. Nein, er würde von hier nicht weggehen! Alles, was ihm teuer war, befand sich auf diesem Stück Erde, an das seine Seele mit zahllosen winzigen Wurzeln gefesselt war; schnitt er sie durch, konnte er ebensogut sterben. Vielleicht kam alles nicht so schlimm, wie er befürchtete, vielleicht würde er sich aber auch mit einer Schuld beladen, die ihn zerbrach: er würde bleiben und nicht mehr versuchen, sich seinem Schicksal zu widersetzen. Denn ein Leben, das sich lohnte, gab es für ihn nur hier.
    Erleichtert seufzend wandte er sich um und lief, mit jedem Schritt ein bißchen schneller werdend, zurück – nach Hause.

DRITTES KAPITEL
1
    E R ÖFFNETE DIE Augen, stieß die Decken weg und stand auf. Hände, Knie und Füße waren wie abgestorben, von den Schulterblättern herab rieselten Kälteschauer. In letzter Zeit brauchte er sich bloß hinzulegen, und schon fühlte er, wie die Kälte in jeden Winkel seines Körpers kroch. Da nützten die Pelze wenig.
    Die Zähne zusammenbeißend, lief er zum Fenster und wieder zum Bett. In seinen Beinen war eine Schwere, als habe er gestern von früh bis spät gejagt. Vor ungefähr vier Jahren hatte er diese widerliche Steife in den Gliedern zum erstenmal bemerkt und zunächst geglaubt, daß es sich um ein vorübergehendes Leiden handelte. Ein arabischer Arzt (die einzigen, die einen nicht belogen) hatte ihm erklärt, daß es ihn bis an sein Ende begleiten und sich, obzwar langsam, noch verschlimmern würde. Das schien sich zu bewahrheiten. Kam Nebel auf oder versäumte er es, nach einem Regenguß unverzüglich die durchnäßte Kleidung zu wechseln, wurde der Schmerz zur Qual. Um das Unausweichliche hinauszuzögern, unternahm er täglich einen Spaziergang.
    »Kot!« rief der alte Fürst.
    Ein Scharren ertönte, die Tür knarrte, dann humpelte eine gekrümmte Gestalt ins Zimmer. Das war sein Diener, wegen seines Buckels Kot – Kater – genannt. Der Buckel war ihm angeboren, das Hinken nicht. Als der Fürst noch jung und kräftig gewesen war, hatte er ihn einmal, halb im Zorn, halb aus Übermut, hochgehoben und auf die Erde geschmettert. Die Brüche waren schlecht verheilt, weitere Prügel hatten neue hinzugefügt, die ebenfalls schlecht verheilt waren. Er schlug ihn längst nicht mehr und fühlte sich diesem schweigsamen Wesen inzwischen fester verbunden als den meisten anderen Menschen seiner Umgebung. Hinfälligkeit und Milde, die beiden Vorboten des Todes …
    Sie verstanden sich ohne viele Worte, und auch diesmal hatte ihm der Krüppel das Richtige gebracht: eine wollene Weste, gefütterte Stiefel und Handschuhe sowie einen Mantel aus Luchsfell. Eilig schlüpfte er in die Sachen. Er wußte, daß er in ihnen rasch schwitzen und sie dann verwünschen würde. Einerlei, im Moment gierte er nach Wärme.
    »Sind Krik und Dudik bereit?«
    Kot grunzte bestätigend, und als der Fürst auf den Hof trat, sah er, daß die zwei in der Tat schon auf ihn warteten. Dudik half ihm in den Sattel, Krik reichte ihm das Schwert. Während er es umschnallte, schaute er zu den Posten auf dem Wehrgang empor. Sowie er außer ihrer Sichtweite war, würde er es ablegen und vom Pferd steigen. Weder sein Vater noch er hatten auf der gutbewachten Insel jemals ein Schwert benötigt; trotzdem mußte er sich jetzt mit diesem überflüssigen Ding behängen und das kurze Stück zum Ufer reiten, denn ein Fürst, der seine Burg unbewaffnet und zu Fuß verließ, bot nun einmal einen Anblick, der dem Glauben an seine Herrlichkeit nicht eben förderlich war.
    Hinter einer Baumgruppe saß er ab und übergab den Leibwächtern, die gleichfalls abgesessen waren, Pferd und

Weitere Kostenlose Bücher