Brennaburg
hin, daß sich dies künftig ändern würde. Bernhard sehnte sich beinahe nach einer Auseinandersetzung wie der vom ersten Tag, doch selbst daran war nicht zu denken. Da ihn Heinrich mied, konnten sie auch nicht aneinander geraten.
Was die Leute anlangte, so begegneten sie ihm zwar mit Respekt, vermochten jedoch kaum zu verbergen, daß er ihnen herzlich gleichgültig war. Es war erschreckend zu beobachten, wie schnell sie Gewohnheiten aufgaben, von denen er gemeint hatte, daß sie tiefverwurzelt seien. Immer seltener geschah es, daß ihn die Männer darum baten, ihre Waffen, Schilde oder Pferde zu benedizieren. Galt es, Ungemach abzuwenden, verließen sie sich lieber auf ihre eigene Findigkeit und, so mußte er argwöhnen, auf einen flink gemurmelten Zauberspruch, als auf seinen Segen. Böse Absicht war das gewiß nicht, denn die gleichen Männer knieten, sobald sie etwas Zeit dazu fanden, mehrmals am Tage zu einem raschen Gebet nieder. Doch lag in dieser Hast etwas Gewaltsames, das an die heidnischen Bräuche ihrer Vorfahren erinnerte. So unerklärlich war dieser Gesinnungswandel freilich nicht. Was im Krieg zu tun war, hatte entschlossen und kraftvoll zu geschehen, demütiges Hoffen wurde umgehend bestraft. Da mußte wohl der ohnehin schwache Glaube an die Macht der Bitte brüchig werden, und man neigte dazu, den Erfolg zu zwingen oder, wo dies unmöglich schien, sich dem vermeintlich ehernen Willen Gottes (der Götter?) mit zusammengebissenen Zähnen zu beugen.
Doch obwohl Bernhard bis zu einem gewissen Grade einsah, daß diese Männer gar nicht anders empfinden konnten, kränkte es ihn trotzdem, daß sie ihn kaum noch um Dienste baten, die ihnen jeder beliebige Priester hätte leisten können. Seine einzige größere Aufgabe bislang hatte darin bestanden, dem Jungen, der auf der Jagd verunglückt war, die letzte Ölung und die Absolution zu erteilen und darauf zu achten, daß er nach christlicher Sitte in west-östlicher Richtung sowie ohne Grabbeigaben bestattet wurde; aber selbst dafür hätte man normalerweise niemals einen Bischof bemüht.
Seltsam, daß er nicht vorausgesehen hatte, wie überflüssig er hier sein würde. Daß auf einem Feldzug keine Kirchen zu weihen, Gemeinden zu visitieren, Bettler zu speisen waren, hatte er schließlich gewußt. Daß man den strapazierten Leuten nicht zumuten konnte, ihre Verfehlungen durch Fasten oder Kniebeugen zu büßen, leuchtete ihm zumindest ein. Außerdem hatte er sich dem Heer nicht deshalb angeschlossen, um den üblichen Pflichten eines Bischofs zur Abwechslung einmal unter ganz anderen Bedingungen nachzugehen. Daher gab es eigentlich keinen Grund, gekränkt zu sein. Doch – er war es, und mittlerweile gestand er sich auch ein, worin seine Verbitterung tatsächlich wurzelte: In der Erkenntnis, daß sein Selbstbewußtsein all die Jahre von einer geliehenen Macht gezehrt hatte. Geliehen für Umstände, die hier nicht mehr galten, weswegen er nun auch nichts mehr galt.
Nicht minder unglücklich fühlte sich der junge Otto. Dabei war er so froh gewesen, als ihm der Vater eröffnet hatte, daß er an dem Feldzug teilnehmen durfte! Schon Wochen zuvor hatte er sich jede Einzelheit seines neuen Lebens ausgemalt und sich fest vorgenommen, alles zu tun, damit ihn die Krieger als den künftigen König achten und lieben lernten. Ausdauernd auf dem Marsch wollte er sein, mutig in der Schlacht, umsichtig, wenn es darum ging, einem Hinterhalt auszuweichen oder eine Panik zu verhindern.
An Gelegenheiten, sich hervorzutun, hatte es bislang zwar gefehlt, Versagen indes mußte er sich nicht vorwerfen. Er stand seinen Mann so gut wie jeder andere. Die Anstrengungen und Gefahren machten ihm nichts aus, er vertrug Kälte und Nässe, empfand keinerlei Furcht, war noch nie von einem Pfeil getroffen worden, ja, vermochte sich nicht einmal vorzustellen, daß ihn einer traf. Die Ungewißheit schreckte ihn nicht, ebensowenig schwere Arbeit; gern hätte er noch viel öfter mit Hand angelegt, als es ihm wegen seiner Herkunft gestattet war. Da er nicht lesen konnte und seine Hauptbeschäftigung stets Jagen und Kampfspiele gewesen waren, litt er auch nicht unter dem Entzug von Tätigkeiten, die jemanden wie dem Bischof das Leben erst sinnvoll machten. Trotzdem war Otto häufig niedergeschlagen, und weil er diesen Zustand nicht kannte, erregte er ihm zunehmend Grauen.
Er war nicht sonderlich empfindsam und schon gar nicht wehleidig. In einer Umgebung aufgewachsen, die Tapferkeit und
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