Brennaburg
Männern, die ihm verdächtig erschienen, falsche oder gar keine Auskünfte zu geben. Nach dem Sieg über die Ungarn war diese Anordnung, wie es hieß, zwar gemildert, nicht aber aufgehoben worden.
Ratibor hatte sich solchen Beschränkungen immer widerspruchslos unterworfen, auch vorgestern, als das letzte Gespräch zwischen ihnen stattgefunden hatte. Wenn er sie jetzt, zwei Tage später, derart grob mißachtete, mußte er gewichtige Gründe haben.
»Du, Ratibor?« sagte der Gefangene, bemüht, das Beben seiner Stimme zu unterdrücken. »Deshalb warst du plötzlich verschwunden. Ich wunderte mich schon, weshalb ich dich nicht mehr bei den anderen sah.«
»Ich bitte dich, nimm dich zusammen! Drehe dich nicht um, neige den Kopf nicht nach hinten! Lache nicht, nicke nicht, laß die Hände, wo sie sind. Begreifst du?«
»Ja, hab keine Sorge. Doch nun sprich, du heidnischer Hund, was schleichst du hier herum? Gehört sich das etwa für einen Gesandten?«
»Was wollte der Priester von dir?« erkundigte sich der andere, ohne auf den Ton einzugehen.
Der Gefangene schickte sich an, das Gesicht zu einem Lachen zu verziehen, besann sich aber noch rechtzeitig. »Was glaubst du? Er erzieht mich, der Hundsfott, oder glaubt wenigstens, daß er's tut.«
»Solange du dich darüber beklagst, statt ihm dankbar zu sein, hat er allen Grund dazu«, spottete der Gesandte. »Übrigens denke ich nie daran, daß du Christ bist, wenn ich dich sehe. Du solltest es bei unseren Begegnungen häufiger erwähnen. Es muß sie befremden, daß du kaum jemals ein Wort darüber verlierst.«
»Bist du hier, um mir das zu sagen?«
»Nein. Ich möchte dich etwas fragen.«
»Fragen«, wiederholte der Gefangene tonlos. »Das ist es also … Hast du eigentlich bedacht, was geschieht, wenn sie dich hier entdecken?« fuhr er erbittert fort. »Dich schützt dein Rang, mich –«
»Wer sollte mich entdecken? Ich habe mir alles genau überlegt: Deiner Wache genügt es, daß sie dich im Auge behalten kann. Dein Bischof hat dich gerade erst mit seiner Gegenwart beehrt. Für die anderen gibt es nur die Jagd. Außerdem trauen sie mir eine solche Dreistigkeit nicht zu. Sollte uns doch jemand überraschen, laß mich reden.«
»Reden! Hältst du sie für dumm? Es dauerte Jahre, bis sie mir einige Freiheiten gewährten. Und die soll ich wegen deiner Fragen aufs Spiel setzen?«
»Besinne dich, Bruder«, sagte der Gesandte eindringlich. »Es ist das erste und vielleicht letzte Mal, daß wir allein miteinander sprechen können. Verlieren wir darum keine Zeit.«
»Frag schon!« preßte der Gefangene hervor.
»Mein Auftrag ist es, in Erfahrung zu bringen, was wir von dem neuen König zu erwarten haben. Die Unseren sind hierüber völlig zerstritten. Einige meinen, daß wir, solange er noch nicht fest im Sattel sitzt, unbedingt einen Aufstand wagen sollten, andere sind der Ansicht, daß eine Erhebung keinen Erfolg verspräche und unsere Lage lediglich verschlimmern würde. Ich selbst hatte in den verflossenen Jahren etliche Unterredungen mit Otto, wurde aber nie so recht schlau aus ihm. Bis zur Stunde ist er mir ein Rätsel, vielleicht deshalb, weil er in allen Stücken das Gegenteil seines Vaters zu sein scheint und es wiederum nicht sein kann, da ihn dieser zu seinem Nachfolger bestimmt hat.«
Er räusperte sich und fuhr in seiner gelassenen Art fort: »Überhaupt sind wir über das, was sich in Sachsen ereignet, nur mangelhaft unterrichtet. Das ist erklärlich; lange genug haben sie ihren Leuten schließlich weisgemacht, daß der Slawe das Ohr des Ungarn ist. Und nicht bloß die Ihren setzen sie unter Druck, sondern ebenso all jene, die in Geschäften durch ihr Land müssen. Wir geizen weder mit Silber noch Vergünstigungen, trotzdem zögern selbst viele arabische Händler, sich ausführlicher über ihre Wahrnehmungen am hiesigen Hof zu äußern. Sogar die Lothringer, die selten eine Gelegenheit auslassen, über die Sachsen herzuziehen –«
»Gewiß«, unterbrach ihn der Gefangene gereizt. »Die Sachsen mögen die Franken nicht, beide nicht die Bayern, und alle drei können die Lothringer nicht leiden, denen es umgekehrt natürlich ähnlich geht – was die vier jedoch nicht hindert, gegen uns zusammenzuhalten. Das ist mir nicht neu. Übrigens versichere ich dir, daß nicht ich es bin, mit dem der König seine Pläne berät.«
»Aber du lebst hier, im Hause eines Bischofs, der, wie man hört, zu seinen Vertrauten zählt. Deshalb erfährst du bestimmt
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