Brennen Muss Salem
von letzteren.
Leider gehört sein Vater in die zweite Kategorie.
Hai blickt über die Schulter zu Jack, der langsam und vor sich hin träumend Heu in die Ställe schiebt. Jack ist der Bücherwurm. Vaters Liebling. Der elende kleine Scheißer.
»Los«, ruft Hai. »Mach weiter mit dem Heu!«
Schule. Zum Teufel mit der Schule.
Die nächsten neun Monate dehnen sich vor Hals innerem Auge wie eine endlose Gruft.
Halb fünf Uhr.
Irwin Purinton, der Milchmann, beginnt seine Runde in Brock Street. Im August war er einundsechzig, und zum erstenmal schien sein Ruhestand in greifbare Nähe gerückt zu sein.
Dann würde er seinen Hund nehmen, eine Promenadenmischung namens Doc, und aufs Land ziehen. Dann würde er jeden Tag bis neun Uhr schlafen und niemals mehr einen Sonnenaufgang mitansehen müssen. Vor dem Norton-Haus hält er an, füllt seine Tragtasche mit den Bestellungen - Orangensaft, zwei Kartons Milch, ein Dutzend Eier – klettert auf den Lieferwagen und stellt fest, daß seine Knie heute weniger schmerzen.
Es wird ein schöner Tag werden. In Susans kindlicher Schrift ist der üblichen Bestellung etwas hinzugefügt: »Bitte eine Flasche sauren Rahm. Danke.«
Purinton geht zum Auto und holt den Rahm. Also doch wieder einer jener Tage, an denen jeder einen Extrawunsch hat.
Im Osten wird der Himmel heller, auf den Feldern zwischen dem Norton-Haus und der Stadt glänzen die Tautropfen wie Diamanten.
5 Uhr 15.
Eva Miller ist bereits seit einer Viertelstunde wach. Sie hat sich einen Fetzen umgehängt, der einem Morgenrock gleicht, an den Füßen trägt sie rosa Pantoffeln. Sie kocht ihr Frühstück - vier Spiegeleier, acht Scheiben Speck. Dieses Mahl wird sie mit zwei Scheiben Toast und etwas Jam verzehren, dazu ein Glas Orangensaft und zwei Tassen Kaffee trinken. Sie ist eine große, robuste Frau, aber um Fett anzusetzen, arbeitet sie zuviel.
Als sie sich eben zu Tisch setzen will, geht die Hintertür auf.
»Hallo Win, wie geht's?«
»Mittelmäßig. Die Knie tun immer ein wenig weh.«
»Ärmster. Kannst du heute einen halben Liter mehr Milch und eine große Flasche Limonade dalassen?«
»Natürlich«, sagt er resignierend. »Ich wußte, daß heute so ein Tag sein würde.«
Sie widmet sich ihren Eiern und ignoriert seinen Kommentar.
Um Viertel vor sechs, nachdem sie ihre zweite Tasse Kaffee geleert hat und eine Chesterfield raucht, klatscht der ›Press-Herald‹ gegen die Hausmauer und fällt in die Rosenbüsche. Das geschieht in dieser Woche schon zum dritten Mal; der Kilby-Junge schlägt wirklich alle Rekorde. Anscheinend schadet das Zeitungaustragen seinem Verstand. Nun, die Zeitung mag bleiben, wo sie ist. Durch die Fenster fallen die ersten zartgoldenen Sonnenstrahlen. Es ist die schönste Zeit des Tages, eine Zeit des Friedens.
Ihre Mieter dürfen den Herd und den Kühlschrank benützen – das ist, ebenso wie das wöchentliche Wechseln der Wäsche, im Preis inbegriffen -, und sehr bald werden nun Grover Verrill und Mickey Sylvester diesen Augenblick des Friedens stören.
Sie werden herunterkommen und in aller Eile ihren Teller Cornflakes verschlingen, bevor sie in die Textilfabrik drüben in Gates Falls gehen, wo sie beide arbeiten.
Als hätten ihre Gedanken die beiden herbeigezwungen, hört sie ein Rauschen in der Toilette des zweiten Stocks und dann den schweren Tritt von Sylvesters Arbeitsstiefeln auf der Treppe.
Sie steht mühsam auf und geht die Zeitung holen.
6 Uhr fünf.
Das Gejammer des Babys durchbrach Sandy McDougalls Morgenschlaf, und sie stand mit beinahe geschlossenen Augen auf, um nach dem Kind zu sehen. »Kuckuck, Kuckuck«, sagte sie.
Das Baby hörte sie und schrie lauter. »Halt den Mund«, rief die Mutter, »ich komme ja schon.«
Sandy ging durch den engen Korridor in die Küche. Sie war ein Mädchen, das bereits jeden jugendlichen Reiz verloren hatte, falls sie dergleichen je besessen hatte. Sie nahm Randys Flasche aus dem Kühlschrank, wollte sie wärmen, überlegte es sich aber anders. Wenn du so dringend nach der Flasche verlangst, kannst du sie auch kalt trinken.
Sie ging ins Kinderzimmer und betrachtete emotionslos den Säugling. Er war zehn Monate alt, sah aber kränklich und blaß aus. Erst seit vier Wochen kroch er ein wenig herum. Vielleicht hatte er Kinderlähmung oder sonst irgend etwas.
Sandy war siebzehn Jahre alt, und für dieses bläßliche Etwas hatte sie die Oberschule verlassen, ihre Freunde verloren, ihre Hoffnung, ein Mannequin zu werden,
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