Brennen Muss Salem
seinem Unterbewußtsein vorhanden war. »Es steht auf diesem Hügel über der Stadt wie - wie eine Art von düsterem Idol.« Ben lachte, um der Bemerkung kein Gewicht zu geben, doch ihm schien es, als habe er etwas von seinen heimlichsten Gedanken preisgegeben, als habe er einem Fremden ein Fenster zu seiner Seele geöffnet.
Daß Matt Burke ihn jetzt prüfend ansah, verstärkte noch dieses Gefühl.
»Das ist Talent«, sagte Matt.
»Wie bitte?«
»Sie haben es sehr präzise ausgedrückt. Seit beinahe fünfzig Jahren hat das Marstenhaus auf uns und unsere kleinen Misseta-ten und Lügen und Sünden herabgeschaut. Wie ein Idol.«
»Vielleicht hat es auch das Gute gesehen«, meinte Ben.
»In Kleinstädten ist nicht sehr viel Gutes vorhanden. Eher Gleichgültigkeit und gelegentlich eine Prise Bosheit, oft aber bewußte Gemeinheit. Ich glaube, Thomas Wolfe hat Tausende von Seiten mit diesem Thema gefüllt.«
»Und ich glaubte, Sie seien kein Zyniker.«
»Das haben Sie behauptet, nicht ich.« Matt lächelte und nippte an seinem Bier. Die Band entfernte sich wieder von der Theke, der Sänger nahm seine Gitarre und begann, sie zu stimmen.
»Jedenfalls haben Sie meine Frage nicht beantwortet. Handelt Ihr neues Buch vom Marstenhaus?«
»Ja, ich glaube schon, in einem gewissen Sinn.«
»Mir scheint, ich frage Sie aus. Verzeihen Sie.«
»Macht nichts«, sagte Ben, dachte an Susan und hatte ein unangenehmes Gefühl. »Wo bleibt Weasel? Er ist schon recht lange fort.«
»Darf ich Sie trotz unserer kurzen Bekanntschaft um einen großen Gefallen bitten? Natürlich kann ich es mehr als gut verstehen, wenn Sie ablehnen.«
»Gern«, sagte Ben. »Worum geht es?«
»Ich unterrichte eine Klasse in moderner Literatur«, sagte Matt. »Es sind intelligente Kinder, und ich würde ihnen gerne jemanden vorstellen, der sein Brot mit Worten verdient. Jemanden, der die Worte nimmt und ihnen Substanz gibt.«
»Mit dem größten Vergnügen«, sagte Ben und fühlte sich absurderweise geschmeichelt. »Wie lange dauert denn eine Unterrichtsstunde?«
»Fünfzig Minuten.«
»Nun, in einer so kurzen Zeitspanne kann ich die Kinder vermutlich nicht allzu sehr langweilen.«
»Ich muß sagen, mir gelingt das oft ganz gut«, erwiderte Matt. »Aber ich bin überzeugt, daß Sie die Kinder nicht langweilen werden. Wie wäre es mit kommender Woche?«
»Gut. Sagen Sie den Tag und die Stunde.«
»Dienstag? In der letzten Schulstunde? Sie ist von elf Uhr bis zehn Minuten vor zwölf. Niemand wird Sie auspfeifen, aber ich nehme an, daß Sie einige Mägen werden knurren hören.«
»Ich werde mir Watte für die Ohren mitnehmen.«
Matt lachte. »Ich freue mich sehr. Wenn es Ihnen recht ist, treffen wir einander im Sekretariat.«
»Gut. Haben Sie –«
»Mr. Burke!« Das war Jackie, die Kellnerin. »Weasel ist auf der Toilette ohnmächtig geworden. Könnten Sie –«
»Du meine Güte. Ben, würden Sie -«
»Natürlich.«
Sie standen auf und gingen durch das Lokal. Die Musik hatte wieder zu spielen begonnen.
Der Abort roch nach Urin und Chlor. Weasel saß an die Wand gelehnt zwischen zwei Pissoirs, und ein Soldat pißte in das eine, nur wenige Zentimeter von Weasels rechtem Ohr entfernt.
Weasels Mund stand offen und Ben dachte, wie furchtbar alt er aussah, alt und zerstört von einer grausamen Macht, die kein Mitleid kannte.
»Kommen Sie«, sagte Matt. »Können Sie einen Arm um ihn legen, sobald dieser Herr sich erleichtert hat?«
»Ja«, sagte Ben. Er sah den Mann in Uniform an, der sich bei seiner Verrichtung Zeit ließ. »Könntest du dich vielleicht beeilen, Freund?«
»Warum? Der Meine ist gar nicht in Eile.«
Trotzdem zog er den Reißverschluß zu und trat von dem Pissoir zurück, so daß die beiden anderen näherkommen konnten.
Ben schlang einen Arm um Weasels Rücken, legte eine Hand unter seine Achsel und hob ihn hoch. Der völlig bewußtlose Weasel hatte das Gewicht eines Mehlsacks. Matt legte Weasels anderen Arm um die eigenen Schultern, und gemeinsam trugen sie den Ohnmächtigen zur Tür.
»Da kommt Weasel«, rief jemand, und es wurde gelacht.
»Dell sollte ihn halten«, sagte Matt, etwas atemlos. »Dell weiß genau, wie diese Dinge enden.«
Sie gingen durch die Tür zum Ausgang und die Holztreppe hinunter zum Parkplatz.
»Vorsicht«, murmelte Ben. »Lassen Sie ihn nicht fallen. Dort, in der letzten Reihe steht mein Citroen.«
Sie trugen Weasel zum Auto. Die Luft war jetzt merklich kühler geworden, und morgen würden die
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