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Brennende Fesseln

Brennende Fesseln

Titel: Brennende Fesseln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Reese
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wartete darauf, daß sie den Satz zu Ende sprechen würde, aber als er sah, daß sie dazu nicht in der Lage war, sagte er: »Du brauchst mich nicht, Franny. Wenn es etwas gibt, das du absolut nicht brauchst, dann bin ich es.«
     
    Franny saß nun schon seit sieben Tagen in ihrer Wohnung. Sie hatte sich krank gemeldet, obwohl sie wußte, daß sie irgendwann wieder zur Arbeit gehen mußte. Sie saß im Bademantel auf dem Sessel neben dem Telefon und wartete darauf, daß es klingeln würde. In sieben Tagen hatte sie nur vier Anrufe bekommen: zwei von der Arbeit, einen von ihrer Tageszeitung, wo man wissen wollte, ob sie mit der Zustellung zufrieden sei, und einen von einer Frau, die Zeitschriftenabos verkaufte. Ihre Isolation war vollkommen. Mrs. Deever war weg, Michael war weg, Nora war so gut wie weg. Franny hatte sie noch ein paarmal angerufen, aber sie hatte sich noch immer nicht gemeldet. Wenn sie doch nur mit Nora sprechen könnte. Vielleicht würde sie es dann schaffen, das alles durchzustehen. Aber Nora wollte nicht reden, jedenfalls nicht mit ihr. Sie hatte ihre Freunde, ihr eigenes Leben, und jedesmal, wenn sie zusammen waren – bei ihrem monatlichen Abendessen –, spürte Franny Noras Unruhe, ihren Wunsch, so schnell wie möglich wieder aufzubrechen. Franny konnte nicht mit Noras Hilfe rechnen. Sie war wieder allein, und ihr wurde klar, daß es immer so sein würde. Sie spürte, wie sie nach innen wegdriftete, und sie ließ es geschehen: Sie ließ sich selbst los, genau wie sie – vor langer Zeit – Billy losgelassen hatte.

VIERTER TEIL
NORA

30
    Hier endet Frannys Tagebuch. Sie hat keinen einzigen Eintrag mehr gemacht, obwohl sie noch zwei Wochen lebte. Sie ging wieder zur Arbeit, und ihre Kollegen erzählten der Polizei später, sie habe sich zwar distanziert verhalten, aber es sei trotzdem niemand von ihnen auf die Idee gekommen, daß etwas nicht stimmte; sie sei schon immer sehr schüchtern und introvertiert gewesen.
    Ihre letzte Eintragungen sind flüchtig hingeworfen, ein bloßes Festhalten der Fakten, aber sie untermauern M.s Schilderung der Ereignisse. Er sagte, sie habe ihn auch dann noch angerufen, als er bereits mit ihr Schluß gemacht hatte – bis sie wieder anfing zu arbeiten. Er wußte, wie es um sie stand. Was er geliefert hat – und was ihren letzten Eintragungen fehlt – sind die Emotionen, die Einsichten, die Gefühle hinter den Fakten. In knappen Worten schrieb Franny: »Ich habe wieder bei Nora angerufen, aber sie war nicht zu Hause.« Wie hätte ich aus dieser Zeile schließen sollen, daß sie die Arme nach mir ausstreckte, in der Hoffnung, von mir gerettet zu werden? Meine Schuldgefühle werden immer schlimmer. Ich bin mitverantwortlich für ihren Tod. Ich habe sie mehr im Stich gelassen, als ich es je geahnt habe.
    Irgendwann rief ich sie schließlich doch zurück, und wir vereinbarten einen vagen Termin für ein Essen im Radisson. Ich hatte Franny längst anrufen wollen, aber zu der Zeit war in der Redaktion besonders viel los, ich steckte mitten in zwei
Artikeln, mußte zu Recherchen nach Berkeley und Los Angeles und war mit mehreren Männern gleichzeitig befreundet. In allerletzter Minute mußte ich auch unser Essen absagen – ich hatte an dem Tag einen Wissenschaftler zu interviewen –, und Franny wurde ermordet, bevor wir uns neu verabreden konnten. Sie hatte nie die Chance, mir von Mrs. Deever oder M. zu erzählen, geschweige denn von den Dingen, die er sie zu tun zwang. Ich nehme an, ich habe ihr nie eine Gelegenheit gegeben. Ich habe sie geliebt – sie war für mich nicht bloß eine flüchtige Bekannte, wie M. einmal behauptet hat –, aber mit einem hatte er recht: Ich habe sie so behandelt. Jetzt frage ich mich, was ihr durch den Kopf ging, als ihr Mörder sie mit Klebeband fesselte und seine langsame Folter begann. Hat sie in diesem Moment an mich gedacht? Ist sie in dem Glauben gestorben, daß niemandem wirklich etwas an ihr lag? Wenn ich eine zweite Chance bekäme, Franny, dann würde ich sicherstellen, daß du wüßtest, wieviel mir an dir lag.
    Parallelen. Überall sehe ich Parallelen. Wie konnte ich nur so blind sein? Als sie niemanden mehr hatte, glitt Franny nach innen; und ich, die ich nie jemandem vertraut habe, bin schon dort, seit ich erwachsen bin. Wir sind uns ähnlich, sehr ähnlich sogar. Und ich hätte sie retten können. Es stand in meiner Macht. Jetzt aber bleibt mir nur noch, sie zu rächen. Ich werde dafür sorgen, daß M. für das

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