Brennende Fesseln
bezahlt, was er getan hat. Ich werde meine Reise mit ihm beenden. Ich werde dem Weg folgen, den auch Franny genommen hat, und die Sache zu Ende bringen.
Joe Harris und ich sitzen wieder im Paragon. Das ist inzwischen eine Art Ritual geworden. Jeden Dienstagabend, wenn er Dienstschluß hat, treffen wir uns hier auf ein Bier, bevor er nach Hause fährt. Für mich ist dieses Ritual wichtiger als für ihn. Ich wende mich an Joe, weil ich ein Gegengewicht brauche. Mein Leben ist inzwischen sehr begrenzt, eine kleine
Sphäre, die wie ein sterbender Stern in sich selbst zusammenfällt. Ich treffe mich nur mehr mit drei Menschen: Joe, Ian und M., meiner persönlichen Triade widerstreitender Moralvorstellungen. Joe und Ian repräsentieren alles, was ich an einem Mann bewundere; M. steht für alles, was ich verachte. Ich habe das Gefühl, mitten in einem Machtkampf zu stehen, dem uralten Kampf von Gut und Böse, in dem die Wettkämpfer um meine Seele streiten. Wie ein Himmelskörper neige ich mich der Masse zu, die die größte Anziehung auf mich ausübt. Ich treibe auf M. zu – nicht, weil ich will, sondern weil seine Anziehungskrat am stärksten ist. Als ich jünger war – als Teenager, aber auch noch Anfang Zwanzig –, fühlte ich mich immer zu den bösen Jungs hingezogen. Ich hatte einen Hang zum Exzessiven, Extravaganten. Eigentlich war ich der Meinung, meiner Vorliebe für die bösen Jungs und ihre gefährlichen Spiele entwachsen zu sein, aber wie es aussieht, ist dem nicht so.
Joe macht den obersten Knopf an seinem Hemd auf und lehnt sich zurück. Der Stuhl ächzt unter seinem Gewicht. Er sieht müde aus, und der Kranz aus Fältchen rund um seine Augen wirkt heute tiefer. Er nimmt einen großen Schluck aus seinem Glas und läßt seinen Blick durch die Bar schweifen.
»Er bekommt allmählich Angst«, sage ich. »Kürzlich hat er mich nach den genauen Umständen von Frannys Tod gefragt. Er wollte wissen, wieviel die Polizei weiß.«
Joe antwortet nicht.
»Ich habe ihm nur das gesagt, was sowieso in den Zeitungen stand.« Joes rundes Gesicht bleibt ausdruckslos.
»Und?« frage ich und warte auf einen Kommentar. »Was schließen Sie daraus?«
Achselzuckend greift er nach seinem Glas. Schließlich sagt er: »Sie konzentrieren sich so sehr auf ihn, daß Sie andere Möglichkeiten übersehen.«
»Was soll das heißen?« frage ich, plötzlich hellhörig.
»Er ist immer noch verdächtig, aber wir ermitteln inzwischen auch gegen jemand anderen.«
»Gegen wen? Sagen Sie es mir!«
Joe schüttelt den Kopf. »Nein. Dafür ist es noch zu früh. Außerdem habe ich Ihnen von Anfang an gesagt, daß Sie sich aus den Ermittlungen heraushalten sollen.«
»Ich habe ein Recht, es zu wissen.«
Wieder schüttelt er den Kopf. »Sie behindern bloß unsere Arbeit, Nora. Und bringen sich in Schwierigkeiten.«
Abrupt greift Joe nach meiner Hand und hält sie fest. Ich frage mich, was das soll, aber dann schiebt er den Ärmel meiner Bluse hoch. Außen am Handgelenk ist noch deutlich zu sehen, wo M.s Handschelle meine Haut aufgeschürft hat. Joe schließt seufzend die Augen und läßt meine Hand los.
Ich schiebe den Blusenärmel wieder hinunter und will einen Schluck Bier trinken. Mitten in der Bewegung halte ich inne, stelle das Glas zurück auf den Tisch und starre auf den Boden, die Hand noch immer um das Glas gelegt. Ich schäme mich zu sehr, um ein Wort herauszubekommen.
»Hatten Sie nicht gesagt, Sie könnten auf sich aufpassen?« fragt er.
Ich bringe es nicht fertig, den Blick zu heben und ihn anzusehen. Es ist mir peinlich, daß er weiß, daß ich mich von M. fesseln lasse. In den letzten paar Wochen habe ich mich M. vollständig unterworfen. Er legt mich in Ketten, bindet mich an sein Bett, an den Küchentisch – was ihm gerade einfällt. Er fesselt meine Arme und Beine. Ich spüre seine knallende Peitsche auf dem Hintern. Er brandmarkt mich, wie er Franny gebrandmarkt hat, aber bei mir entschuldigt er sich nicht. Hinterher küßt er mich sanft, bindet mich los, hält mich in seinen Armen und sagt mir, daß er mich liebt. Dann erklärt er mir, daß er es wieder tun wird.
Und ich gehe immer wieder zu ihm. Ich brauche die Informationen – und die Art von Sex –, die nur er mir geben kann.
Joe begleitet mich zu meinem Auto. Es ist ein typischer Juliabend: heiß und trocken, Trägheit liegt in der Luft. Als ich den Schlüssel ins Schloß schiebe, legt er mir die Hand auf die Schulter. Ich drehe mich zu ihm um.
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