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Brennende Fesseln

Brennende Fesseln

Titel: Brennende Fesseln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Reese
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würde? Erzähl es der Polizei. Sollen die doch überprüfen, ob er wirklich unschuldig ist.«
    »Er hat Franny nicht getötet.« Ich stehe auf und gehe aufgeregt auf und ab. »Und wenn du dir so sicher bist, daß er der Mörder ist, warum hast du mir das nicht schon eher gesagt? Du behauptest, daß dir etwas an mir liegt, daß du dabei bist, dich in mich zu verlieben – hast du da keine Angst gehabt, daß er auch mich töten würde?«
    M. sieht zu, wie ich auf und ab gehe. Ruhig antwortet er: »Nein. Dein Leben war nie in Gefahr. Ian ist kein Mörder – zumindest nicht von seinem Naturell her. Er hat nicht das Zeug dazu. Ich glaube, es war ein Unfall, ein Versehen.«
    »Sie war mit Klebeband gefesselt. Und du willst mir erzählen, daß es ein Unfall war? Ein Versehen?«
    »Ich habe auch nicht alle Antworten parat, Nora. Vielleicht habe ich überhaupt keine Antworten zu bieten. Ich glaube, daß er einfach die Beherrschung verloren hat. Er ist kein kaltblütiger Mensch. Ich glaube nicht, daß er sie vorsätzlich getötet hat.«
    Ich setze mich in die andere Sofaecke. Nach vorn gebeugt, stütze ich die Ellbogen auf die Knie und schlage die Hände vors Gesicht. Seine Worte hallen in meinem Kopf nach: Er hat die Beherrschung verloren. Ich muß an die Nacht denken, in der Ian mir gegenüber die Beherrschung verloren und mich aus Wut brutal gefickt hat, ohne meine Zustimmung.

    »Wenn du wirklich der Meinung bist, daß er sie getötet hat, warum hast du mir das nicht schon eher gesagt? Warum hast du es nicht schon erwähnt, als du von der Polizei verhört worden bist?«
    »Ich bin erst vor kurzem darauf gekommen – als Ian seinem neuen Freund Philip Ellis gestand, daß er mit Franny geschlafen hatte. Nora, hättest du mir denn geglaubt, wenn ich es dir gesagt hätte? Du willst es doch noch immer nicht glauben. Und die Polizei? Warum sollten die meinen Anschuldigungen Glauben schenken? Die würden doch am liebsten mich als den Schuldigen sehen.«
    Ich weiß nicht, was ich antworten soll. Was er sagt, ergibt einen Sinn, aber ich traue meinem Urteil längst nicht mehr.
    Er verläßt den Raum und kommt ein paar Minuten später mit einer kleinen Pappschachtel zurück. »Das habe ich heute aus dem Büro mitgebracht«, erklärt er. Er lächelt mich entschuldigend an. »Ich habe die Sachen in meinem Büro aufbewahrt, weil ich nicht wollte, daß du sie findest.« Er setzt sich neben mich und nimmt den Deckel von der Schachtel. »Ich dachte mir, daß du die Sachen vielleicht gern hättest – ein paar Dinge, die von Franny zurückgeblieben sind.«
    Er greift in die Schachtel und zieht einen blauen Seidenschal heraus. Ich weiß nicht, ob er ihr gehört hat oder nicht. Aber als nächstes drückt er mir ein Paar Jadeohrringe in die Hand. Ich habe Franny diese Ohrringe vor zwei Jahren zum Geburtstag geschenkt. Ich schließe die Hand um die Ohrringe, bis sie warm werden. Ich möchte Frannys Gegenwart darin spüren, eine psychische Verbindung zwischen ihrer und meiner Welt herstellen. Sprich mit mir, Franny. Aber es kommt nichts. Nur bedeutungsloses Schweigen. Mir steigen Tränen in die Augen. Ich kneife sie fest zusammen, weil ich nicht will, daß M. mich weinen sieht. Ich schelte mich, weil ich so sentimental bin. Was habe ich erwartet? Ein Zeichen aus dem Jenseits?

    »Hier«, sagt M., und ich öffne die Augen. Er reicht mir eine Brille mit getönten Gläsern.
    »Franny hat keine Brille getragen«, sage ich und will sie ihm zurückgeben.
    »Das ist eine Lesebrille«, erklärt er. »Sie hat sie eine Woche vor unserer Trennung bekommen.« Dann reicht er mir ein Buch, einen Roman von Jean Auel, und zwei medizinische Zeitschriften. Als nächstes zieht er einen braunen Pulli aus der Schachtel und hält ihn mir ebenfalls hin. Zuletzt nimmt er eine winzige Holzschnitzerei heraus, eine Schlange, die gerade aus dem Ei schlüpft. Als ergriffe eine düstere Vorahnung Besitz von mir, bekomme ich beim Anblick der Schnitzerei eine Gänsehaut. Ich muß an die Schlange denken, die Ian vor sechs Monaten für mich geschnitzt hat. Die Miniatur steht noch auf meinem Wohnzimmertisch.
    Ich bin völlig durcheinander und fühle mich nicht in der Lage, heute bei M. zu bleiben. Ich packe alles zurück in die Schachtel – den blauen Schal, die Jadeohrringe, die Lesebrille, die Zeitschriften, den braunen Pulli, das Jean-Auel-Buch und die Holzschnitzerei. Dann stehe ich auf und verlasse wortlos das Haus. Ich weiß, später wird er mich dafür bestrafen,

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