Brennende Fesseln
leuchtet.
Der Weg scheint sich endlos hinzuziehen, was ich aber irgendwie passend finde; schließlich wechsle ich von einer Welt in eine andere, aus dem Land der freien Menschen in die Unterwelt der Verdammten. Ein paar blaugekleidete Gefängnisinsassen, die einer weniger hohen Sicherheitsstufe unterliegen, sind an einem grasigen Hang mit Unkrautjäten beschäftigt.
Schließlich entdecke ich ein weiteres Tor mit einem Wachhäuschen daneben. Die Prozedur geht weiter: Ich muß ein paar Formulare unterschreiben, durch einen zweiten Metalldetektor gehen und eine weitere Wache in grüner Uniform hinter mich bringen. Ich zeige dem Beamten meinen Besucherpaß, und er drückt mir einen Stempel auf den Handrücken. Die Schrift ist verwischt und unleserlich, ein schillernder gelbgrüner Stempel ähnlich denen, die ich früher bekam, wenn ich in einen Club tanzen ging. Ich biege nach links ab und gehe an der Gefängnismauer entlang. Auf dem Innenhof macht gerade eine Gruppe von Gefangenen Gymnastik, und ihr synchrones Stöhnen klingt, als wären sie bei der Armee. Vor mir erstreckt sich eine Reihe unbeschrifteter,
knaufloser Türen. Ich stelle mich vor die dritte. Sie wird elektronisch überwacht und hat einen großen Glaseinsatz – vielleicht ist es auch Plexiglas –, der so dick und verkratzt ist, daß ich kaum hindurchsehen kann. Als die Wache mich entdeckt, schwingt die Tür auf. Ich gehe in ein kleines Vorzimmer, zeige dem Mann Ausweis und Besucherschein und trete anschließend in eine Art Metallkäfig. Die Glastür gleitet hinter mir zu. Der Käfig hat die Größe eines Aufzugs und besteht aus schwarzen Roheisenstangen. Einen Moment lang fühle ich mich, als wäre ich die Gefangene. Mit einem klickenden Geräusch wird das Schloß elektronisch entriegelt. Ich schiebe die Tür auf und bin endlich im Besuchsraum.
Er sieht ganz anders aus, als ich es mir vorgestellt habe, eher wie der Versammlungssaal eines gemischtrassigen Colleges. Es gibt alle möglichen Automaten – Süßigkeiten, Burger, Huhn, Pommes, Kaffee, Cola – und eine Mikrowelle. In der Mitte des Raumes sind Reihen von Tischen und Stühlen aufgestellt. An die siebzig bis achtzig Leute, Besucher und Insassen, bevölkern den Raum und machen einen Höllenkrach – Babys schreien, Kleinkinder heulen, und die Männer und Frauen sprechen laut, um den Lärm zu übertönen.
Die gläserne Wachkabine zu meiner Rechten nimmt fast eine ganze Seite des Raumes ein. Sie ist sehr hoch, so daß ich den Arm heben muß, um meinen Ausweis und den Besucherschein durch den Schlitz zu schieben. Der Beamte, ein Mann mit scharfen Zügen und kurzem, borstigem Haar, der ebenfalls eine forstgrüne Uniform trägt, fordert mich auf, mich zu setzen. Die Stühle, blauer Kunststoff mit Metallrand, sind miteinander verbunden, so daß sie eine gerade Reihe bilden. Ich finde zwei freie Plätze in der Ecke und warte.
Ich schaue mich um. Alle Insassen tragen hellblaue Arbeitshemden und Bluejeans. Mein Blick fällt auf die Wände, die mit farbenfrohen Bildern bemalt sind. Meine Nachbarin, eine rundliche junge Hispano-Amerikanerin, stupst mich an.
»Die haben die Insassen selber gemacht. Ziemlich gut, was?« Das Mädchen hat eine junge, rauchige Stimme und spricht ohne die Spur eines Akzents.
Eine der Wandmalereien zeigt eine Landschaftsszene, wahrscheinlich Yosemite, mit einer riesigen Granitkuppel und einem Wasserfall. Das zweite Bild hat eher mythische Qualität. Es zeigt eine dralle, mit einer Toga bekleidete Dame, die vor einem geflügelten Pferd sitzt, Pegasus, dem Symbol der dichterischen Inspiration. Ich frage mich, ob der Insasse, der das gemalt hat, auch wußte, daß Pegasus später von Zeus gefangen und als Tragesel für seine Blitze mißbraucht wurde. Wahrscheinlich nicht. Ich nehme an, es ging ihm mehr um die dralle Dame. Yosemite und Pegasus. Natur und Mythologie – in dieser Umgebung wirken die beiden Wandgemälde irgendwie fehl am Platz.
»Ja«, antworte ich. »Sie sind sehr schön.« Ich werfe einen Blick auf die Uhr und rutsche auf meinem harten Stuhl herum. Ein Paar spaziert händchenhaltend durch den Raum, zwei strahlende Kleinkinder im Schlepptau. Ein weiteres Pärchen, das an einem Tisch in der Nähe des Süßigkeitenautomaten sitzt, küßt und befummelt sich, als seien sie zu einem einsamen, romantischen Picknick im Park. Blaugekleidete Männer lassen Babys auf ihrem Schoß auf und ab hüpfen und lachen mit ihren Frauen oder Freundinnen. Sie wirken wie ganz
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