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Brennende Fesseln

Brennende Fesseln

Titel: Brennende Fesseln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Reese
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normale Männer. Ich muß mir erst ins Gedächtnis rufen, daß jeder der Männer in diesem Raum einen oder mehrere Menschen ermordet hat. Wir sind hier im Besucherraum des Todestrakts, alle diese blaugekleideten Männer sind Mörder. Zwei Tische weiter sitzt eine Schwarze mit Zopffrisur; sie holt ihrem Freund gerade einen herunter. Ihre Faust steckt tief in seiner Hose und pumpt rhythmisch auf und ab. Ich beuge mich vor und lese das Schild über ihrem Kopf: DIE HÄNDE MÜSSEN IMMER ZU SEHEN SEIN.
    Ich lehne mich wieder zurück. Eine rothaarige Frau in einer
schwarzen Hose geht vorbei. Unter einem pink und blau gemusterten Hawaiihemd trägt sie einen Priesterkragen. Sie hat mindestens ein Dutzend Löcher im Ohr, in denen silberne Stecker, Ringe und funkelnde Gehänge befestigt sind.
    »Das ist Reverend Betsy«, erklärt das Mädchen neben mir. »Sie kümmert sich um die Männer, die nicht regelmäßig Besuch bekommen. Sie ist nett, anders als die anderen.« Sie deutet auf einen Tisch, an dem ein Insasse einem Mann zuhört, der ihm aus der Bibel vorliest. Ich blicke mich um und stelle fest, daß im Raum eine Menge solcher Bibellesungen stattfinden.
    »Ständig kommen sie angerannt und wollen gute Werke tun«, sagt sie. »Die Männer mögen sie, weil sie ihnen Cheeseburger kaufen, aber hinterher müssen sie sich das Geschwätz über Jesus und die Bibel anhören.« Sie zuckt die Achseln. »Aber das ist wohl okay so. Immerhin kriegen sie Cheeseburger.«
    Inzwischen sind fünfzehn oder zwanzig Minuten vergangen. Ich beobachte, wie die Insassen einer nach dem anderen durch eine Metalltür in den Raum gelassen werden. Hinter jedem fällt die Tür mit einem lauten, klirrenden Geräusch ins Schloß. Die Männer nennen dem Beamten im Glaskasten ihren Namen und sehen sich dann nach ihren Besuchern um.
    »Da ist mein Mann«, sagt meine junge Nachbarin und steht auf. Sie geht zu einem Jungen mit unschuldig wirkendem Gesicht hinüber, der dem Aussehen nach kaum älter ist als sie. Nachdem sie sich umarmt haben, steuern die beiden sofort auf die Automaten zu. Dabei halten sie Händchen und sehen aus wie zwei Teenager, die durch ein Einkaufszentrum schlendern – bloß, daß dieser Junge kein Teenager ist und, trotz seines Aussehens, alles andere als unschuldig.
    Wieder fällt die Metalltür zu. Ich sehe zu, wie der Insasse dem Beamten hinter der Glasscheibe seinen Namen nennt und ihn etwas fragt. Der Beamte deutet mit dem Finger auf mich.
Der Gefangene dreht sich um und sieht in die Richtung, in die der Beamte gedeutet hat. Steif kommt er auf mich zu. Er wirkt nervös, als gehöre er nicht hierher. Er ist groß und mager, seine Augen sind schmale Schlitze, seine dünnen Lippen fest aufeinandergepreßt. Das muß Mark Kirn sein. Er ist ein Mann mittleren Alters und hat bereits einen Glatzenansatz. Würde er Anzug und Krawatte tragen, sähe er aus wie ein Geschäftsmann, nicht wie ein Gefängnisinsasse.
    Er setzt sich neben mich und fragt: »Sind Sie Nora Tibbs?« Als ich nicke, sagt er: »Sie haben in Ihrem Brief geschrieben, Sie könnten mir vielleicht helfen. Können Sie?« Seine Augen sind azurblau, sie haben dieselbe Farbe wie sein Gefängnishemd und strahlen kein bißchen Wärme aus.
    »Ich bin mir nicht sicher«, antworte ich. Wenn ich doch bloß ein Blatt Papier oder einen Kassettenrecorder hätte mitbringen können. »Ich muß ein paar Dinge wissen.«
    Er wirft einen schnellen Blick nach links. Dann wendet er seine kalten Augen wieder mir zu. »Worüber?« fragt er und trommelt nervös mit den Fingern auf sein Knie.
    »Über die Briefe, die Sie Cheryl Mansfield geschrieben haben. Die Anrufe.«
    Er sieht mich an und fragt: »Würden Sie mir einen Cheeseburger kaufen? Da drüben ist ein Cheeseburger-Automat.«
    »Okay«, antworte ich und sortiere das Geld in meiner Hand. Ich halte ihm einen Fünfer hin, aber Kirn nimmt ihn nicht.
    »Sie müssen mitkommen«, sagt er. »Wir dürfen hier drin kein Geld anrühren.«
    Wir gehen zu den Automaten hinüber. Eine Frau mit Bibel verkündet einem Mann, der über einen Tisch gebeugt sitzt und eine Mikrowellenpizza ißt: »Jesus ist für unsere Sünden gestorben.« Ich schiebe einen Fünfdollarschein in einen Geldwechselautomaten. Anschließend erstehe ich einen Cheeseburger für einen Dollar fünfundsiebzig und reiche ihn Kirn.

    »Eine Tasse Kaffee hätte ich auch gern«, sagt er, während er auf die Mikrowelle zusteuert und seinen Cheeseburger hineinlegt, »und diese Enchilada dort. Wir

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