Brennende Fesseln
Unterwerfung – faszinieren mich. Er ist aufregend, intelligent und ein klein wenig gefährlich – eine Kombination, nach der ich mich verzehre. Trotzdem … vom Mordverdächtigen zum Lebenspartner? Ich glaube nicht.
Dann schiebe ich all diese Gedanken beiseite. Ich habe heute morgen Wichtigeres zu tun: Ich bin mit dem Mann verabredet, der Cheryl Mansfield umgebracht haben soll.
Mark Kirn ist Insasse des Todestrakts von San Quentin. Als ich die Erlaubnis bekam, ihn zu besuchen, schickten mir die Gefängnisbehörden ein Handbuch, in dem steht, wie ich mich zu kleiden habe. Ich darf nichts Dunkelgrünes tragen, keinen Jeansstoff, keine Jogginghose, nichts Bauchfreies, keinen kurzen Rock, kein Dekolleté, kein trägerloses, rückenfreies oder weit ausgeschnittenes Kleid. Deswegen trage ich, als ich zur Bay Area fahre, ganz konservativ, einen einfachen weißen, knielangen Rock und eine pfirsichfarbene Kurzarmbluse.
Ich fahre über die gebührenpflichtige Brücke nach San Rafael und biege dann in die Straße ein, die zum Gefängnis führt. Sie zieht sich an der San Pablo Bay entlang, und bald kommen mir Zweifel, ob ich mich womöglich verfahren habe. Malerische viktorianische Häuser säumen beide Seiten der Straße. Sie sind sehr alt und klein und wirken zum Teil ziemlich heruntergekommen. Zwischen den Häusern wachsen vereinzelte Büsche, ein paar mickrige Blumen, hie und da ist ein Fleckchen Garten zu sehen. Das Land fällt zu einer felsigen Küste hin ab, und jenseits der Bucht erkenne ich die Skyline von San Francisco. Der Blick ist malerisch wie auf einer Postkarte – kein Ort, wo man ein Gefängnis vermuten würde.
Nach einer Kurve taucht ein großes Gebäude auf, wahrscheinlich Granit, denke ich. Das Gemäuer ist alt, hat einen blassen Gelbstich und ist von einer hohen Betonmauer umgeben: San Quentin.
Entsprechend den Anweisungen, die man mir geschickt hat, wandere ich einen Hügel zu einem langen, schmalen Gebäude hinauf, in dem die Besucher abgefertigt werden. Drinnen überfällt mich Babygeschrei. Der triste Raum hat einen Betonboden, und entlang der ungestrichenen Wände stehen Holzbänke. Es ist voll hier – ein paar Männer, aber hauptsächlich Frauen und Kinder. Ich stelle mich am Ende der Schlange an und warte. Vor mir hat eine untersetzte Blondine ein krankes Kind über der Schulter hängen, als wäre es ein schwerer Mehlsack. Der heulende Junge zappelt herum, und seine Nase läuft ununterbrochen. Er wischt sie mit der Hand ab und schiebt sich dann einen runden Daumen in den Mund, während er mich aus großen braunen Augen anstarrt.
Die Schlange bewegt sich stückchenweise voran. Am anderen Ende des Raumes ist in unregelmäßigen Abständen ein Summton zu hören. Dann geht eine Tür auf, und je eine Person darf passieren. Die meisten Frauen haben durchsichtige Taschen bei sich – billige Kosmetiktaschen –, mit den Dingen, die sie mit ins Gefängnis bringen dürfen: drei Schlüssel, einen Ausweis, Taschentücher oder Kleenex, Kamm oder Bürste, zwanzig Dollar in Scheinen bis zu maximal fünf Dollar. Nichts zu essen, kein Papier, keine Stifte, keinen Kassettenrecorder.
Nach etwa einer Stunde bin ich schließlich an der Reihe. Ich trete durch die Tür und sehe einen Wachmann hinter einem Tresen sitzen. Es ist ein älterer Mann, über fünfzig, mit weißem Haar und stumpfen Augen. Er trägt eine forstgrüne Uniform mit Flicken auf den Ärmeln. Sein Name, E. Cullen, ist mit schwarzem Faden auf die rechte Brusttasche gestickt. Ich lege meinen Ausweis, den Wagenschlüssel und zwanzig Dollar auf den Tresen. E. Cullen sagt nichts. Er wirkt gelangweilt
und starrt mich mit gleichgültiger Miene an. Er wirft einen Blick auf meine Kleidung, vergleicht meinen Ausweis mit der Liste zugelassener Besucher und reicht mir einen gelben Passierschein. Ich nehme meine Habseligkeiten und gehe durch einen Metalldetektor. Ich nehme an, daß das das Ende der Prozedur ist, aber in Wirklichkeit beginnt sie erst.
Ich betrete das Gefängnisgelände. Ein sehr langer Fußweg führt zu dem wuchtigen Gebäude, das so alt ist, daß es ausgebleicht und leicht vergilbt wirkt. San Quentin wurde 1852 erbaut und sieht aus wie eine alte Burg, eine Festung mit Türmchen, Zinnen auf den Dächern und Spitzbogenfenstern in den Mauern. Neben dem Gefängnis steht ein obeliskenförmiger, mit bewaffneten Beamten besetzter Wachturm. Dahinter sehe ich die Bucht, die an diesem klaren Nachmittag in einem schönen Blauton
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