Brennende Fesseln
hattest die Situation nicht mehr im Griff, und plötzlich war Franny tot.«
»Erstens«, entgegnet er in schulmeisterlichem Ton, »weißt du überhaupt nicht, was ich Franny angetan habe. Du wirst es erst erfahren, wenn ich beschließe, es dir zu sagen. Und zweitens würde mich interessieren, ob du nicht befürchtest, daß ich auch bei dir die Beherrschung verlieren könnte – wenn du schon die Theorie hast, daß ich sie in einem unbeherrschten Augenblick sadistischer Leidenschaft getötet habe?«
»Du kannst mir nichts tun. Die Polizei würde sofort über dich herfallen.«
»Angenommen, ich würde tatsächlich die Beherrschung verlieren. Dann würde ich bestimmt nicht mehr rational denken. Ich würde nicht an die Folgen denken.«
Plötzlich habe ich Platzangst, als wäre sein Wagen kleiner geworden. Ich sage: »Wenn mir etwas passiert, bist du dran. Die Polizei wird wissen, daß du damit zu tun hast, und diesmal wirst du ihnen nicht entkommen. Das ist immerhin eine gewisse Befriedigung für mich. Du wirst für das bezahlen, was du getan hast.«
Er schweigt einen Augenblick. Dann schüttelt er langsam den Kopf wie ein Vater, der seine Mißbilligung zum Ausdruck bringt. »Das ist außerordentlich dumm von dir, Nora. Franny machst du damit nicht wieder lebendig – du bringst dich nur selbst in Gefahr.«
Wieder bekomme ich dieses klaustrophobische Gefühl, von der Welt abgeschnitten zu sein. »Für manche Dinge lohnt es sich zu sterben«, sage ich, aber ich weiß, daß ich nicht sehr überzeugend klinge.
Den Blick auf die Straße gerichtet, sagt M.: »Die Frage ist jetzt nur – werde ich dich auf die Probe stellen?«
»Sag’s mir«, antworte ich. Seine Worte machen mir angst.
Er wendet den Blick nicht von der Straße. Regen peitscht gegen die Windschutzscheibe. »Wenn ich jemanden töten wollte«, hebt er an, sieht dann zu mir herüber und fügt hinzu: »Wenn ich beispielsweise dich töten wollte, dann bestimmt nicht in einem Moment unkontrollierter Leidenschaft. Ich würde dabei sehr beherrscht vorgehen, sehr bewußt und methodisch. Wenn ich vorhätte, einen so … endgültigen Akt zu begehen, dann würde ich ihn ausgiebig genießen wollen. Ich nehme an, man würde viel von dieser Extremerfahrung verpassen, wenn man die Situation nicht völlig im Griff hätte.«
Er zögert, denkt nach, ehe er weiterspricht: »Ich schätze, ich
würde damit beginnen, daß ich deine Arme und Beine fessele. Dann würde ich dich mumifizieren. Weißt du, wie das geht, Nora? Man versteht darunter eine spezielle Methode der Fesselung. Man kann es auf viele verschiedene Arten machen, aber das Grundprinzip ist immer dasselbe: einen Menschen völlig einzuwickeln, vom Kopf bis zu den Zehen, so viel wie möglich von seiner Sinneswahrnehmung auszuschalten, ihn völlig unbeweglich zu machen. Du wärst absolut hilflos, unfähig, dich zu bewegen, unfähig, dich zu wehren. Du wärst nicht einmal in der Lage, um Hilfe zu rufen. Es würde mir große Freude bereiten, dich so zu sehen. Aber ich müßte noch einen Schritt weiter gehen, nicht wahr? Wir reden hier schließlich von Mord. Und ich würde nicht wollen, daß man mich erwischt. Es würde eine hölzerne Kiste von der Größe eines Sarges bereitstehen, und in die würde ich dich legen. Dann würde ich den Deckel zunageln. Ich würde dich begraben, vielleicht sogar in meinem eigenen Garten. Du würdest die Erde auf den Sarg fallen hören, wenn ich das Grab zuschaufle. Du könntest überhaupt nichts dagegen tun, nur zuhören und voller Panik erleben, wie ich dich lebendig begrabe.«
Während ich M. anstarre, spüre ich eine Kälte durch meinen Körper kriechen, die mit den eisigen Temperaturen draußen nichts zu tun hat. Er sieht mich an und lächelt. Allmählich hasse ich dieses höhnische Grinsen.
»Das ist natürlich alles rein hypothetisch«, fügt er hinzu. »Ich bin kein Mörder.«
Wieder spüre ich meine Isolation. Ich sollte nicht mit M. allein sein. Ich sehe aus dem Fenster. Wir sind in den Sierras. Die Berge sind weiß und still, und zu beiden Seiten der Straße ragen hohe Wände dreckigen Schnees auf. Ich drehe die Heizung auf. Die Berge sind mit Bäumen übersät, hauptsächlich Tannen und Zedern, die die Flächen schmelzenden Schnees mit einem schmutzigen Mantel aus schuppigen Blättern, spitzen Nadeln und runden Zapfen bedecken. Der matschige,
grauschwarz glänzende Highway windet sich in scharfen Kurven um den Berg. M. fährt langsam und vorsichtig. Draußen ist es
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