Brennende Fesseln
nicht kalt genug für Schneefall, und der Regen, jetzt nur mehr ein sanftes, gedämpftes Nieseln, scheint M. und mich zu isolieren, einen nassen Panzer zwischen uns und den Rest der Welt zu schieben.
»Das Zeug, das du in deinem Schrank hast«, frage ich, »hast du das bei Franny benutzt? Alles?«
Er antwortet nicht gleich. Schließlich sagt er: »Die Beziehungen, die mir am meisten geben, haben immer mit irgendeiner Form von Sadomasochismus zu tun, und für gewöhnlich suche ich mir Frauen aus, die auch auf so etwas stehen. Franny war anders: Sie wollte eine traditionellere Art von Beziehung. Aber sie war in mich verliebt, mehr als jede andere Frau, die ich gekannt habe, deshalb erlaubte sie mir, praktisch alles mit ihr zu machen. Ich verlangte, daß sie mir ihre Liebe bewies, und sie tat es – immer und immer wieder. Und ihre Fügsamkeit, daß sie nie nein sagte, hat mich dazu gebracht, nur noch größere Forderungen zu stellen. Ich habe von ihr viel mehr verlangt als von jeder anderen Frau. Sie hatte eine Persönlichkeit, die geradezu darum bettelte, mißbraucht zu werden. Sie hat mir nichts verweigert, deswegen nahm ich mir alles. Die Antwort auf deine Frage lautet also ja, sie kannte alles, was in der Kiste ist, aus eigener Erfahrung – und noch einiges mehr.«
Einen Moment lang bin ich nicht in der Lage zu sprechen. Ich hole tief Luft, dann sage ich: »Ich will es genauer wissen. Erzähl mir die Einzelheiten. Was genau habt ihr gemacht?«
Er sieht mich an und wendet sich dann wieder der Straße zu. »Wie haben genug über sie gesprochen«, erklärt er.
Ich spüre die Wut in mir hochsteigen. Er erzählt mir immer gerade genug Details über Franny, um mich bei der Stange zu halten. »Wie lange gedenkst du so weiterzumachen?« frage ich. »Du rückst doch nur dann mit Informationen heraus, wenn dir gerade danach ist. Hier ein bißchen und da ein
bißchen. Glaubst du, du kannst mich genauso kontrollieren wie meine Schwester?«
»Wir werden sehen«, antwortet er.
Ich starre aus dem Fenster. Ponderosa-Kiefern mit gelblicher, tief gefurchter Rinde huschen vorbei, während der Wagen durch die Berge kurvt. Eine Weile schweigen wir beide. Es hat aufgehört zu regnen, und wir sind auf der Rückseite des Berges, haben den Gipfel des Echo Summit hinter uns gelassen und steuern auf die flacheren Erhebungen von South Lake Tahoe zu. Hier hat die Schneeschmelze bereits eingesetzt. Die Seitenstreifen des Highway sind mit kleinen, schmutzigen Schneeflecken gesprenkelt, und über den Berghängen liegt eine weiße, eisige, an den Rändern schmelzende Patchworkdecke.
M. sieht zu mir herüber. »Für dich war Franny ein gutmütiger Mensch ohne Probleme, ein ausgeglichenes, farbloses, langweiliges Wesen, mit dem du dich gelegentlich treffen mußtest, weil ihr Schwestern wart. Du hast sie geliebt, aber sie war nicht dein Typ, genauso wenig, wie sie meiner war. Sie war nicht die Art Frau, die du dir als Freundin ausgesucht hättest, und wenn ihr nicht verwandt gewesen wärt, hättest du dich überhaupt nicht mit ihr abgegeben. Franny wußte das. Sie wußte, daß du sie langweilig fandst, und sie akzeptierte es. Sie hat nie schlecht von dir gesprochen, hat dir dein Desinteresse nie angekreidet. Vielleicht hätte sie es tun sollen. Du hast dir nie die Zeit genommen, die erwachsene Franny richtig kennenzulernen. Ich dagegen habe sie gekannt. An Weihnachten – du erinnerst dich doch an Weihnachten, oder? Den Tag, den man mit seiner Familie verbringt? Den Tag, an dem du zu beschäftigt warst, um mit deiner einzigen Verwandten zu feiern? – , an Weihnachten hat Franny einen Besuch im Pflegeheim gemacht, damit ihre Freundin Sue Deever den Tag nicht allein verbringen mußte. Und einmal die Woche hat sie geholfen, eine Wichteltruppe zu betreuen, einfach weil sie gern mit
Kindern zusammen war. Davon hast du nichts gewußt, oder? Für dich hätte sie genausogut eine Fremde sein können. Trotzdem hat sie dich bewundert. Sie hat große Stücke auf dich gehalten und dich unerbittlich verteidigt. Als ich zu ihr sagte, daß mir dein Verhalten ziemlich eigensüchtig vorkomme, fand sie lauter Entschuldigungen für dich. Sie sagte, du hättest viel zu tun und lebtest dein eigenes Leben.«
Ich starre aus dem Seitenfenster, aber ich sehe nichts. Ich wollte mehr über Franny wissen, doch jetzt, wo er mir endlich etwas erzählt, bin ich nicht glücklich über das, was ich höre. Ich habe mich schon vorher schuldig gefühlt – mir ist klar,
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