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Brennende Fesseln

Brennende Fesseln

Titel: Brennende Fesseln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Reese
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daß ich mir mehr Mühe hätte geben sollen, sie in mein Leben einzubeziehen  –, aber jetzt geht es tiefer.
    Er sagt: »Eigentlich verwunderlich, findest du nicht? Daß sie so große Stücke auf dich hielt, obwohl du es, hart ausgedrückt, gar nicht verdient hattest.«
    Ich bin nicht in der Lage, darauf etwas zu antworten. Nach Frannys Tod kamen viele Leute, die ich zum Teil gar nicht kannte, auf mich zu und sprachen mir ihr tief empfundenes Beileid aus. Niemand von ihnen machte mir Vorwürfe. Niemand wußte, wie sehr ich Franny vernachlässigt hatte. Nur M. kennt die Wahrheit. Ich bete, daß er aufhören möge, aber er macht weiter.
    »Du hast gesagt, sie sei eine leichte Beute gewesen – vielleicht hattest du etwas damit zu tun. Du warst ihre Schwester, Nora. Du hättest wissen müssen, daß sie dich brauchte. Du hättest dich ein bißchen mehr um sie kümmern sollen.« Er schweigt. Dann ändert sich sein Tonfall. Er klingt nicht mehr so ernst, sondern eher verächtlich. »Vielleicht erklärt das wenigstens teilweise, warum ich so fasziniert von dir bin. Ich möchte wissen, wer die Frau ist, der so viel Loyalität entgegengebracht wurde – und zwar völlig unverdient.«
    Meine Kehle ist trocken, und ich weiß, wenn ich jetzt spreche, dann nur mit großen Schwierigkeiten. Er hat natürlich
recht. Ich hätte mich mehr um Franny kümmern sollen. Reflexartig schlage ich zurück.
    »Du hast kein Recht, über mich zu urteilen, nicht nach all dem, was du ihr angetan hast.« Mir versagt die Stimme. Nur mit Mühe gelingt es mir, mich wieder zu fassen.
    M. hat Mitleid mit mir. Sanft sagt er: »Vielleicht kann ich gerade deswegen über dich urteilen – weil ich ihr so vieles angetan habe. Weil ich …«
    »Ist das jetzt ein Geständnis?« frage ich ihn und weise sein Mitleid zurück. »Willst du mir damit sagen, daß du sie umgebracht hast?«
    Langsam und geduldig schüttelt er den Kopf. »Ich will dir damit nur sagen, daß wir ihr beide weh getan haben.«
    »Aber in meinem Fall geschah es ohne Absicht.« Meine Stimme klingt unnatürlich, gepreßt. Schuld sind die Tränen, die ich mit Gewalt zurückhalte. Ich will Vergebung, aber ich weiß, daß ich sie nicht bekommen werde – nicht von diesem Mann. »Vielleicht war ich keine gute Schwester, vielleicht war ich zu sehr mit mir selbst beschäftigt – aber ich habe es nie darauf angelegt, ihr weh zu tun.«
    »Nein, das hast du nicht. Aber letztendlich lief es auf dasselbe hinaus. Ob nun Absicht oder nicht, Franny hat es auf jeden Fall weh getan. Du hast ihr weh getan, ich habe ihr weh getan – so ist das Leben nun mal. Du trägst genauso viel Schuld wie ich.«
    Ich starre durch die Windschutzscheibe. Mein Bündnis mit M., aus einer Notwendigkeit heraus entstanden, nimmt eine neue Dimension an. Ich habe mit diesem Mann einen Pakt geschlossen, einen Pakt mit dem Teufel, um das Rätsel um Frannys Tod zu lösen. Jetzt bezieht er mich in das Rätsel ein, macht mich zur Mittäterin. Damit habe ich nicht gerechnet. Ich möchte kein Teil des Rätsels sein, aber ich spüre, wie eine immer stärker werdende Kraft mich mit M. vereint, ein Band, das sich wie eine enge Fessel um meinen Hals legt.

    Ich habe eine Weile nicht mehr auf die Strecke geachtet und stelle erstaunt fest, daß wir an der Staatsgrenze zwischen Kalifornien und Nevada angekommen sind. M. fährt an den Casinos vorbei. Er biegt in eine Seitenstraße ein und hält vor einem zweistöckigen Holzhaus, dessen A-förmiges Dach mit Schnee bedeckt ist.
    »Warum sind wir hier?« frage ich.
    »Um mehr über Franny zu erfahren«, antwortet er und öffnet die Fahrertür. Kalte Luft strömt herein. Er nimmt seine Jacke vom Rücksitz, einen marineblauen Wollblazer. Dann steigt er aus, geht um den Wagen herum, schlüpft währenddessen in seine Jacke und hält mir die Tür auf. Ich zögere. Ich möchte wissen, was in dem Haus passieren wird.
    »Komm schon«, sagt er und streckt mir seine Hand hin. Ich steige aus, ohne die dargebotene Hand zu beachten. Wir gehen die Auffahrt hinauf. Die Luft ist so kalt, daß unser Atem frostig weiße Wolken bildet. M. klingelt an der Haustür.
    »Du brauchst nichts zu tun«, sagt er. »Du bist nur als Beobachterin hier – es sei denn, du entscheidest dich dafür mitzumachen. Aber vergiß bitte nicht, daß du als Gast in diesem Haus bist. Spar dir jegliche Kommentare und Urteile, solange wir hier sind. Das ist alles, was ich von dir verlange.«
    Ich will etwas erwidern, aber in diesem

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