Brennende Fesseln
ausweichende Antworten und bin reizbar. Seiner Meinung nach ist es an der Zeit, daß ich wieder zu arbeiten anfange und Frannys Tod hinter mir lasse. Er drückt meine Hand etwas fester, beugt sich vor und sagt: »Es gibt nichts, was du noch tun könntest. Du mußt aufhören, ständig an Franny zu denken.«
»Wie kann ich das? Sie war meine Schwester.«
»Die Polizei sucht weiter nach ihrem Mörder. Überlaß die Sache den Experten.«
»Die tun doch nichts.« Ian drückt meine Hand so fest, daß es allmählich weh tut. »Warum willst du, daß ich nicht mehr an Franny denke?« frage ich ihn und versuche meine Hand zurückzuziehen. »Manchmal glaube ich, daß es dir völlig egal ist, ob ihr Mörder gefunden wird oder nicht.«
»Das stimmt doch gar nicht. Aber diese Obsession macht ein Wrack aus dir.« Ian senkt den Blick, bemerkt, wie fest er meine Hand umklammert hält. Er lockert seinen Griff und blickt wieder zu mir auf. Leise sagt er: »Ich liebe dich. Du mußt wieder dein eigenes Leben führen.«
Ich will gerade etwas sagen, ihn beruhigen, als ich M. meinen Namen aussprechen höre. Ich drehe mich um, zu erstaunt, um irgend etwas herauszubringen.
»Erinnern Sie sich noch an mich?« fragt er. »Philip Ellis. Sie haben einen Artikel über das Forschungsprojekt geschrieben, an dem ich damals an der UCD gearbeitet habe. Vor zwei, nein, drei Jahren.«
Ich werfe ihm einen feindseligen Blick zu, hoffe, daß er meine Verärgerung bemerkt, – was er auch tut –, aber er sieht bloß auf mich herunter, ein kleines, verschmitztes Grinsen im Gesicht. Am Nebentisch stapelt ein Kellner benutzte Teller und Schüsseln aufeinander. Ian läßt meine Hand los, und mir
wird bewußt, daß er darauf wartet, meinem Bekannten vorgestellt zu werden. »Ähm«, sage ich, für eine Autorin nicht gerade gewandt, »das ist Ian McCarthy.« M. hat mich heute morgen eingeladen, mit ihm essen zu gehen, und ich habe ihm von meiner Verabredung mit Ian erzählt. Ihn immer noch anstarrend, füge ich hinzu: »Mein Freund.«
Ian steht auf, die beiden geben sich die Hand, und dann fragt Ian, höflich wie immer, welchen Artikel ich über ihn geschrieben hätte. M. dreht sich zu mir um und sagt: »Sie können es wahrscheinlich besser zusammenfassen als ich.«
Ich spüre, wie mir die Röte in die Wangen steigt. Ich bin so wütend, daß ich kaum sprechen kann. Er hat kein Recht, sich in diesen Teil meines Lebens zu drängen. »Das ist schon eine Weile her«, sage ich gepreßt. »Frischen Sie mein Gedächtnis auf.«
M. lächelt. »Ich nehme an, Sie schreiben so viele Artikel, daß Sie sich nicht mehr an jeden einzelnen erinnern können.« Er wendet sich wieder an Ian. »Ich bin Biologe. Mein Spezialgebiet ist die Verhaltensforschung, und ich beschäftige mich vor allem mit den Auswirkungen, die die Partnerwahl bei den Tieren auf den Prozeß der Evolution hat. In dem Artikel, den Nora geschrieben hat, ging es um Frösche. Ich habe untersucht, wie sie auf unterschiedliche Balzrufe reagieren, und bin zu dem Ergebnis gekommen, daß die Männchen mit dem lautesten Balzruf für die Weibchen am attraktivsten sind.« Er schweigt einen Moment und fügt dann hinzu: »Soviel zu unserem heutigen Idealbild des sensiblen Mannes. Ich schätze, die Frauen wollen in Wirklichkeit etwas ganz anderes.«
Ian lacht.
Ich starre M. verärgert an. Natürlich will er durch diesen versteckten Vergleich andeuten, daß ich ihn Ian vorziehe. »Sie irren sich«, antworte ich trocken und beziehe mich auf den unterschwelligen Teil seiner Bemerkung, von dem Ian nichts weiß. »Das ist ein Trugschluß. Frauen wünschen sich sehr
wohl einen sensiblen, mitfühlenden Mann – wir brauchen inzwischen keinen brutalen Macho mehr, der uns verteidigt und beschützt. Die Frau von heute will einen richtigen Partner, einen Mann, der sie sowohl gefühlsmäßig als auch körperlich befriedigen kann. Frauen sind keine Tiere – und Ihr Vergleich ist völlig unpassend. Ich hätte von einem berühmten Biologen wie Ihnen eine etwas fundiertere Schlußfolgerung erwartet.«
M. sieht mich nachdenklich an. Sein Mund verzieht sich zur Andeutung eines Lächelns, das nur für mich bestimmt ist.
Ian scheint meine bewußt grobe Antwort peinlich zu sein. »Aber Liebling«, sagt er, »er hat doch nur Spaß gemacht.« Dann wendet er sich an M. und zuckt entschuldigend mit den Achseln. »Manchmal geht das Temperament mit ihr durch.«
Wütend fauche ich Ian an: »Du brauchst dich nicht für mich zu
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