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Brennende Kälte

Brennende Kälte

Titel: Brennende Kälte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schorlau
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durchgeführt. Er würde nichts beweisen können. Außer der leicht geröteten Haut gab es keine Spuren. Nur die Erinnerung an seine Vernichtungsangst.
    Einen zweiten solchen Angriff will ich nicht erleben.
    Und würde ihn wahrscheinlich auch nicht überleben.
    Er würde den Fall aufgeben.
    So schnell wie möglich.
    Er würde dies Sarah Singer telefonisch mitteilen. Damit sie es hören könnten, wenn sie sein Telefon abhörten.
    Oder seine Wohnung.
    Er würde sich nicht mehr in solche Gefahren begeben.
    Wie damals im Tunnel, dachte er und wunderte sich sofort, dass ihm dieser Gedanke gekommen war.
    Der Tunnel – das ist doch schon so lange her.
    Er würde Hauptkommissar Weber anrufen.
    Er würde die Polizei bitten, den Soldaten zu suchen.
    Und morgen, ja, morgen würde er Nolte anrufen und ihm zusagen.
    Ausgesorgt, dachte er.
    Sein Herzschlag normalisierte sich wieder.

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    Oktober 1999: Italien, Höhlen von Frasassi (2)
    Die Höhlen, die er für den Test ausgewählt hatte, lagen an der Schnellstraße, die von Ancona nach Jesi führte. Ihm gefiel diese traumhafte italienische Szenerie in der Provinz Marken, all diese kleinen Orte auf sanften Hügeln. Dann wechselte diese Landschaft in die hohen, schroffe Berge, die ihn immer an die Rocky Mountains erinnerten.
    Die Höhlen wurden erst 1971 von einer Gruppen von Höhlenforschern entdeckt. Die Männer fanden ein kleines Loch in den Felsen, aus dem ihnen ein leichter Luftzug entgegenblies – ein deutlicher Hinweis auf eine Höhle. Also gruben sie einen schmalen Stollen, bis sie auf eine kleine Galerie stießen, die am Ende mit einer dünnen Kalkschicht verschlossen war. Aber auch hier spürten sie den verheißenden Luftzug. Als sie die dünne Wand durchstießen, kam ihnen ein heftiger Windstoß entgegen. Sie hatten eine riesige Höhle entdeckt. Durch Steinwürfe loteten sie die Tiefe aus – 130 Meter. Der große Mailänder Dom würde hier ohne Weiteres hineinpassen. Heute ist die Grotte von Frasassi eine Attraktion, die größte bekannte Tropfsteinhöhle Europas. Eben darum war sie ideal für diese Operation.
    Colonel Gordon hatte die Testperson selbst ausgesucht. Es war ein Schwarzer aus Detroit, der im Crackrausch seine Familie abgeschlachtet hatte. Mit einer Art Machete hatte er seinen Vater, seine Mutter und die einzige Schwester niedergemetzelt. Mit vierundzwanzig kassierte er sein Todesurteil. Jetzt war er vierunddreißig. Besucht hatte ihn im Knast jahrelang niemand mehr. Der Rest seiner Familie, zwei Onkel und eine Tante, hatte mit ihm gebrochen. Seine alten Kumpels vergaßen ihn nach einem Jahr.
    Perfekt für mich, hatte Gordon gedacht, als er die Akte las. Er hatte ihn nach Italien ausgeflogen. Hatte ihn aufgepäppelt.Hatte dafür gesorgt, dass er gutes italienisches Essen bekam. Pasta Soundso und Filetto Soundso jeden verdammten Tag. Er hatte ihm einen eigenen Sportraum besorgt mit Hanteln, Springseil, Boxhandschuhen und Sandsack. Der Kerl wusste natürlich nicht, wo er war. Hätte auch nichts genutzt, ihm zu sagen: Hey, du bist in Italien, in Europa, Venedig ist ganz nahe. Der hätte ohnehin nicht gewusst, wo das liegt. Am Anfang war er misstrauisch, aber dann hatte er Sport getrieben, gut gegessen, Muskeln bekommen, und Gordon hatte ihm dabei zugeschaut. Er sah gut aus mittlerweile.
    Hatte aber keine Ahnung, was ihm bevorstand.
    Hatte keine Ahnung, dass er offiziell schon seit ein paar Monaten tot war. Dass es einen Grabstein mit seinem Namen gab. Im Knastfriedhof von Joliet. Dass niemand seiner Restfamilie zu seiner Beerdigung erschienen war.
    Sie brachten ihn jetzt zu Fuß die Straße hinauf zum Eingang der Höhle. Die Hände mit weißen Plastikfesseln auf den Rücken gebunden. Und Fußfesseln. Er hatte genau die richtigen Sachen an: weiße Leinenhose. Jacke aus derbem Stoff. Es würde noch vierzig Minuten dauern, bis er in der Höhle war.
    Gordon nahm die Checkliste aus dem Regal und prüfte die Aggregate, wie es die Vorschrift vorsah. Dann schaltete er das Sichtgerät ein und justierte die Entfernung. Der Bildschirm zeigte wunschgemäß das Innere der Höhle. Er erkannte die Gruppe von riesigen Stalaktiten, die sie hier völlig zu Recht »Die Riesen« nannten. Er schwenkte zu einer Grotte, die das Hexenschloss genannt wurde und in deren Mittelpunkt eine Steinformation stand, die wie ein Dromedar aussah und auch so hieß.
    Noch ein Schwenk, in die große Höhle. Gordon kannte die Daten. 180 Meter lang, 120 Meter breit und 200 Meter hoch. An der

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