Brennende Kontinente
gesammelt in den Archiven zu Neu‐Bardhasdronda
Kontinent Ulldart, Königreich Borasgotan, Amskwa, Winter im Jahr 1/2 Ulldrael des Gerechten (460/461 n.S.)
Lodrik duckte sich unter den heranfliegenden brennenden Scheiten weg. Waljakov hechtete zur Seite, und Stoiko sprang zurück in den Flur. Keiner der drei wurde von der Attacke getroffen, die Holzstücke prallten gegen die Wand und polterten zu Boden; die Flammen setzten den dicken Teppich auf der Stelle in Brand.
»Vernichtet sie!«, befahl Lodrik seinen Geistern und erkannte die toten Soldaten auf dem Boden des Zimmers. Er konzentrierte sich auf die Leichen und gab ihnen durch seine Kräfte unwahres Leben zurück, dann hetzte er sie ebenfalls
auf Zvatochna, die sich gerade zu Norina drehte. Seine Gemahlin schwebte in aller höchster Gefahr. Und dennoch musste er sich zunächst um eine weitere
Bedrohung kümmern. Aljaschas und Mortvas Nachkomme durfte nicht einen Lidschlag länger leben. Nach dessen Tod würde er dafür sorgen, dass nicht einmal eine Seele übrig bliebe. Falls dieses Geschöpf überhaupt eine besaß.
Vahidin starrte ihn mit den magentafarbenen Augen seines Vaters an, jenes Ungeheuers, jenes Zweiten Gottes und Gesandten Tzulans, der die meiste Verantwortung an dem Unheil trug, das Ulldart getroffen hatte. »Hast du Mutter getötet?«
»Ich hätte es«, erwiderte er. Es war sehr anstrengend, Untote zu leiten und gleichzeitig Kraft für einen zweiten Angriff zu schöpfen.
Der Junge zog sein Schwert. »Dann hast du den Tod verdient.« Er hob den Waffenarm und richtete die Spitze auf ihn. Schwarze Blitze lösten sich und jagten auf Lodrik zu, der von dem Angriff überrascht wurde. Die Energie traf ihn mitten in die Brust, schleuderte ihn nach hinten gegen die Tür und drückte ihn dagegen. Aber sie vermochte nicht, ihn zu töten.
Vahidin glotzte ihn an. »Was ist mit dir?«
Lodrik antwortete trotz seiner Schmerzen, welche die Magie ihm zufügte, mit einer turmhohen Welle aus Grauen, die er gegen den Jungen warf.
Vahidin keuchte erschrocken auf, wandte sich eilends von Lodrik ab und senkte das Schwert; die schwarzen Strahlen erloschen. »Was tust du?«, rief er und zitterte. »Hör auf!« Er wich auf die andere Seite des Raumes zurück. Nach einer raschen Geste flammte eine flirrende Kugel um ihn herum auf. Er versuchte, sich mit seiner Magie zu schützen.
Lodrik atmete auf. Vahidin war sich seiner Macht noch nicht bewusst, sonst hätte er die Attacke fortgeführt und womöglich gesiegt. Auf seiner Brust war die Robe zerfetzt, darunter sah und roch er verbrannte Haut, die sich in trockenen Fetzen abschälte und aschengleich auf den Boden schwebte. Die schwarzen Blitze hatten ein Loch von der Länge eines Fingers in ihn gefressen; diesen Schmerz wiederum fühlte er nicht einmal.
Er sandte Vahidin eine zweite Flut aus Ängsten. Um keinerlei Risiko einzugehen, steigerte er sie im Vergleich zu seinem ersten Angriff, ließ sie über ihn hereinschwappen und auf ihm zusammenbrechen. Diese Flut wog so schwer wie ein Berg und war bodenlos abscheulich, beinhaltete die unvorstellbarsten Schrecken, die selbst das härteste Gemüt zerschmetterten und das Herz drückten, bis es platzte.
Der Knabe hielt sich die Brust und bäumte sich auf, dann brach er schreiend hinter seinem magischen Wall zusammen und lag still. Die Lider waren halb geöffnet, die Augen starrten gegen die Wand. Nekromantie und Magie funktionierten unterschiedlich, was Vahidin zum Verhängnis geworden war. Wasser ließ sich nicht mit einem Netz aufhalten, so eng die Maschen auch gewoben waren. Ehe Lodrik sich um Vahidins Seele kümmern konnte, musste er nach Zvatochna schauen. Sie hielt plötzlich ein Schwert in der Hand ‐ sein Schwert, das Henkersschwert aus Granburg! Sie drosch damit auf die eindringenden toten Soldaten Norinas ein. Bannsprüche und Verzierungen leuchteten auf der breiten Klinge, und jeder Treffer streckte einen Krieger nieder. Norina selbst lag am Boden, etwas abseits vom Gefecht. In ihrer Hand hielt sie ein Messer, ihre Augen waren geschlossen. Aber sie atmete noch.
»Waljakov, Stoiko!«, rief Lodrik den beiden zu, die sich einen Kampf mit borasgotanischen Wachen lieferten. Der Lärm hatte sie zu den Waffen gerufen, nun wollten sie ihrer Kabcara Elenja gegen die Eindringlinge beistehen. »Nehmt Norina und tragt sie hinaus. Ich kümmere mich um meine Tochter.«
Der glatzköpfige Hüne nickte, rannte an Lodrik vorbei und warf sich Norina über die Schulter.
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