Brennende Kontinente
schwoll an, sodass die Lohen vom Boden bis zur Decke schlugen. Lodrik rannte hinaus, gelangte in einen Korridor, der vom Rauch verdunkelt wurde, und eilte ihn entlang, bis er auf eine Treppe stieß, die nach unten führte. Zvatochna hatte davon gesprochen, nach Norden zu gehen. Also folgte er ihr. Er hatte eine Ahnung, wo er sie finden würde. Fjodora flimmerte vor ihm auf. »Die Freiheit«, forderte sie. »Es wäre uns ein Leichtes, dich auf dem Teppich, auf dem du stehst, zurück in die Flammen zu tragen oder dich auf andere Weise auszulöschen.«
Lodrik nickte und schnitt sich mit dem Schwert. Dunkel
rann sein Blut über die ohnehin rot gefärbte Klinge, er wischte darüber und rieb es in die Zeichen. Sodann hielt er es hoch über den Kopf. »Ich erlaube euch, diese Welt zu verlassen«, sagte er, dann schlug er die flache Seite mit aller Kraft gegen das steinerne Treppengeländer. Klirrend zerbrach das Schwert in zwei Teile.
Die Seelen schrien auf ‐ und verschwanden. Nichts erinnerte mehr an sie, so als seien sie niemals da gewesen. Keine
Fjodora, kein blaues Leuchten mehr.
Lodrik nahm das zerbrochene Schwert auf und stürmte die Stufen hinunter, zur Straße. Auf seinem Weg abwärts kam er an einem gewaltigen Gemälde vorbei. Er klemmte das vordere Teil der Klinge hinter die Halterung der Leinwand und eilte weiter. Niemand, der es hier fand, würde etwas damit anfangen können.
Im Freien angelangt, warf er den Rest des Schwertes in einen Kehrrichthaufen. Es war nichts weiter mehr als ein Stück Eisen, eine unbrauchbar gewordene Waffe. Dann hielt er Ausschau nach Zvatochna.
Alles, was er sah, waren die Leichen von einhundert Pferden und ihren Reitern in tarpolischen Uniformen, welche die Straße vor dem Palast bedeckten. Einige hielten ihre Waffen in den Händen, den meisten war nicht einmal mehr die Zeit geblieben, danach zu greifen. Merkwürdig war die vier Schritt breite Schneise, die sich zwischen den Leibern gebildet hatte. Für Lodrik gab es keinen Zweifel, dass seine Tochter sich einen Weg für ihren Schlitten geschaffen hatte. Durch die Morde an den Soldaten verfügte sie über neue Seelen, die ihr dienten.
Aus den Fenstern des oberen Stockwerks schlugen immense Flammen, die Hitze hatte das Glas zum Bersten gebracht. Glockengeläut, das die Bürgerwehr zum Brandherd rief, um das Feuer zu löschen, ertönte rings um das Gebäude. Die Bediensteten des Palastes würden es alleine nicht schaffen.
»Herr!« Stoiko erschien in einem Durchgang auf der gegenüberliegenden Straßenseite. »Rasch, kommt her! Eure Gemahlin möchte Euch sehen.«
Lodrik wollte zunächst verneinen, um Zvatochnas Spur nicht zu verlieren. Doch dann befahl ihm etwas, zuerst nach Norina zu sehen.
Als er über die vielen Toten hinweg stieg und zu seinem Vertrauten lief, fiel ihm wieder ein, was ihn dazu bewogen hatte: Sorge. Sorge und die Liebe.
Kontinent Ulldart, Königreich Tersion, Hauptstadt Baiuga, Winter im Jahr 1/2 Ulldrael des Gerechten (460/461 n.S.)
Ein dicklicher Zeigefinger wand sich um eine lange graue Bartlocke, wickelte sie auf, der Daumen rieb über das Haar. Eine gedankenverlorene Bewegung. Je länger Perdor das Gesicht des jungen Kaisers betrachtete, desto mehr wurde er sich bewusst, wie unterschiedlich die Menschen aus Angor und die aus Ulldart waren.
Es ging nicht um die Hautfarbe.
Es ging um die Denkweise, die Einstellung zu Gegebenheiten, zu Dingen. Zum Leben und Wert eines Menschen. Nech, in einen weißen Lederharnisch gerüstet, hob den Kopf und schaute Perdor geradewegs in die Augen. »Ich sage es noch einmal: Meine Schwägerin bleibt an Bord meiner Galeere, bis sie sich von dem Anschlag erholt hat. Trotz des
Cerelers ist ihr Bewusstsein bislang nicht zurückgekehrt.«
Der Finger ließ die Bartlocke los. »Das möchte auch niemand in Frage stellen. Alana die Zweite ist bei Euch in sehr guten Händen, hoher Kaiser Fark Narsʹanamm. Auch dass Ihr Tersion als Statthalter regiert, erkennt man im Land als rechtens an.« Perdor sah an den sich vertiefenden Linien auf Nechs Gesicht, dass er sich auf sehr, sehr dünnem Eis bewegte. »Doch Baiugas Einwohner fürchten um ihr Leben. Bei der Suche nach den Attentätern sind bereits einundzwanzig Unschuldige getötet worden
...«
Nech hob die Hand, der Harnisch knirschte. »Meine Soldaten tragen daran keine Schuld. Die Menschen haben den Aufforderungen, die sie erhielten, nicht Folge geleistet. Es hätte nicht einmal eine Ausgleichszahlung an die
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