Brennende Kontinente
schüttelte sich und schaute verstohlen auf ihre Finger. Sie erwartete, Blut daran haften zu sehen, so echt stiegen die Erinnerungen in ihr auf. Waren es ihre Erinnerungen oder Ausblicke auf das, was ihr bevorstand?
»Wie geht es nun weiter?« Lorin hatte ihre geistige Abwesenheit nicht bemerkt.
»Wir reisen nach Ilfaris oder wo auch immer wir den König finden. Ich möchte die Entscheidung darüber nicht alleine treffen, da sie weit reichend ist und mehr als nur mich betrifft. Es geht um den Fortbestand von Kensustria und einen Krieg.« Estra verfolgte den Flug der knisternden Funken hinauf in den Himmel.
»Ich habe eine Bitte an dich.« Lorin hatte auf die Gelegenheit gewartet, allein mit ihr zu sprechen.
»Verzeih, dass ich dich in deiner Trauer störe, aber auch ich habe einen wichtigen Auftrag, bei dem das Wohl eines Kontinents auf dem Spiel steht, wenn ich die Worte der Nicti richtig deute.«
Sie schaute ihn an. »Du brauchst nichts zu erklären. Ich habe eure Unterredung über die Qwor gehört. Bist du sicher, dass dir die Nicti die Wahrheit sagten?«
»Es gab keinen Grund für sie, uns anzulügen.«
»Aber wie kann ich dir dabei helfen?«
Lorin nahm sie bei den Schultern. »Estra, ich brauche Tokaro, um mit den Bestien fertig zu werden. Doch er wird Ulldart nicht eher verlassen, bis die Angelegenheiten im den geregelt sind. Nach seinen Vorstellungen geregelt sind.«
»Bis dahin kann es für deine Heimatstadt zu spät sein. Ich verstehe.« Estra schaute in die klaren, blauen Augen des jungen Mannes. »Ich soll ihn dazu bringen, früher als er möchte nach Kalisstron zu fahren.«
»Wenn es dir irgendwie möglich ist, ja.« Er schloss die Lider, die Verzweiflung drohte ihn zu überwältigen. »Ich habe Freunde, eine wunderbare Frau, und sie alle sind in Gefahr.« Er öffnete die Augen wieder. »Estra, sie warten auf mich! Und ich ... ich sitze auf einer Burg. Untätig. Ich bin der Laune meines Bruders ausgeliefert, der bei aller Ritterlichkeit und Ehrlichkeit nichts weiter zu sein scheint als ein kleiner Junge.« Er nahm die Hände von ihr, senkte den Kopf und schaute in die Flammen. »Es ist unmöglich«, raunte er niedergeschlagen. »Er wird sich nicht umstimmen lassen.«
Estra bemerkte verwundert, wie ungleich die Halbbrüder waren. Lorins Verantwortungsbewusstsein imponierte ihr, gleichzeitig tat er ihr schrecklich Leid. Seine Lage war noch schlimmer als ihre eigene.
»Wir sind auf eine seltsame Weise vom Schicksal auserkoren, Dinge auf den Kontinenten zu be‐
einflussen«, sprach sie und nahm seine Hand. »Wir sollten dem Auftrag der Götter gerecht werden.«
Sie lächelte ihn aufmunternd an, fasste ihn sanft am Kinn und zwang seinen Kopf herum, damit sie ihm in die Augen schauen konnte. »Ich werde Tokaro dazu bekommen, mit dir nach Kalisstron zu reisen«, versprach sie ihm. »Er ist unvernünftig, aber dennoch zu überzeugen. Es wäre schrecklich, wenn ich mir weiteres Unheil in einem mir fremden Land anlasten müsste, nur weil Tokaro meinetwegen auf Ulldart bliebe.«
Lorin schöpfte unvermittelt Hoffnung. »Tausend Dank!«
Er drückte sie überschwänglich an sich und ließ sie gleich
wieder los.
Aber die kurze, unschuldige Umarmung war bereits von
einem anderen gesehen worden.
»Du wirst Kensustria beistehen?«, fragte Lorin nach einer Weile.
Sie nickte. »Unter einer Bedingung: Sie werden Ammtara bis in alle Ewigkeiten in Ruhe lassen müssen. Die Einwohner können nichts für das, was meine Mutter tat und wie die Mauern stehen. Der kensustrianische Priesterrat wird die Wahl haben und über das Schicksal seines Landes selbst ent‐
scheiden.« Estra wandte sich den Flammen zu. »So sei es, Tante«, sprach sie zu der Toten, deren Überreste in den Flammen kaum mehr zu sehen waren. »Es liegt an euch, was geschieht. Meine Heimat ist Ammtara und nicht Kensustria.«
Leise knackend barst der von Lohen umspielte Schädel.
Tokaro ging in die Knie, ließ den Körper von Wartan, einem Knappen, der kurz vor dem Ritterschlag gestanden hatte, von seiner Schulter in den Schnee rutschen und legte ihn zu den anderen Toten. Er, Gän und Malgos hatten inzwischen einundzwanzig Leichen geborgen, es fehlten noch neun Männer und das Küchengesinde.
Er richtete sich auf, schaute Wartan in die erstarrten Züge und sprach ein leises Gebet für ihn. Tokaro machte einen Schritt zur Seite, um den Nimmersatten passieren zu lassen, der drei weitere Leichen brachte. Sein Blick fiel durch das Feuer hindurch
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