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Brennende Schuld

Brennende Schuld

Titel: Brennende Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Burkhard Driest
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Wände waren von undefinierbarer Farbe, ein verblichenes Blassgrün. Ein Riss vom Boden bis zur Decke schien das Gebäude zu spalten.
    »Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?«, fragte sie, ohne sich umzuschauen. »Ich wollte mir gerade einen Tee aufbrühen.«
    »Gerne.« Es war das Einfachste, ihr Angebot anzunehmen. »Dürfte ich kurz Ihr Bad benutzen?«
    Sie zeigte in die Tiefe der dunklen Wohnung und goss das kochende Wasser aus dem Kessel in hohem Bogen in eine Kanne.
    Er folgte dem Flur, dessen Wände wellig und aus feucht glänzendem Lehm zu sein schienen. Bei besserer Beleuchtung und näherem Hinsehen würden sie ihre Wunden offenbaren, dachte er: die Schimmelflecken an den Bodenleisten und der Decke, die seit Jahrzehnten nicht entfernten Abdrücke ungewaschener Kinderhände, die blätternde Farbe und die unzähligen Schlupflöcher für die Küchenschaben. Zu beiden Seiten standen Umzugskartons, die ein Durchkommen nur im Slalom ermöglichten.
    Vor dem Badezimmer gabelte sich der Flur. Er erblickte sich in einem wandhohen Spiegel mit goldverzierter Krone, der leicht nach vorne geneigt war. Schnüre mit bunten Birnchen hingen an den Seiten herunter. Bis auf einige, die kaputt waren, gaben sie dem dunklen Flur ein gelb-rotes Licht. Vor dem ausladenden Doppelwaschtisch im Bad ließ er kaltes Wasser über seine Hände laufen, fuhr sich mit gespreizten Fingern durchs Haar und studierte dabei die Ablage vor dem Spiegel. Neben einer frei stehenden Badewanne mit verrosteten Löwenfüßen befand sich ein Bidet, über das ein Handtuch geworfen war. Er nahm es und trocknete sich die Hände ab.
    Er ging zurück zum Wohnzimmer und blieb vor dem hölzernen Bord mit den fünf kleinen Figuren stehen. Sie hatte auf seine Frage vorhin nicht geantwortet, aber irgendetwas stachelte ihn an, ihr das nicht durchgehen zu lassen. »Sind es antike Kultfiguren?«
    Sie sah ihn durchdringend an und kniff dabei die Augen etwas zusammen. »Es sind die fünf Helfer Mots.«
    »Mot?« Costa sah sie fragend an.
    »Mot herrscht bei den Karthagern über die Unterwelt.« Sie lächelte. »Allerdings gab es bei den Karthagern keine wirkliche Trennung zwischen der Unterwelt und der Welt der Lebenden. In Zeiten der Dürre gehört Mot das ganze Land. Die Speise des Todes ist Schlamm – und Schlamm wird auch dem Mot geopfert. Er wird von Atargatis getötet, da er ihren Bruder und Gemahl Baal Hammon hinterlistig getötet hat, indem er ihn in seine Unterwelt hinablockte und zwang, Schlamm zu essen. Dies geschah aus Rache, weil Baal ihm nicht seine Frau überließ. Als Mot sich weigert, Baal wieder zum Leben zu erwecken, tötet ihn Atargatis in einem rituellen Blutbad: Mit ihrer Sichel zerteilt sie ihn. Mit ihrer Geißel schlägt sie ihn. Mit Feuer verbrennt sie ihn. Mit Mühlsteinen zermahlt sie ihn. Auf die Felder verstreut sie ihn, um seine Kraft zu zerstören. Nach Mots Tod regnet es dann Öl vom Himmel, und die Flüsse führen Honig. Da weiß Atargatis, dass Baal zurückgekehrt ist.«
    Costa fragte sich, warum die Vorstellungen der Alten stets von einer solch ungeheuren Sprachkraft waren. Wenn er sich in dem einen Internatsjahr in Irland gelangweilt hatte, war er manchmal auf die Idee gekommen, laut aus dem Alten Testament zu lesen.
    »Eine große Wohnung«, sagte er, als er sich wieder setzte.
    Sie nickte. »Mein Vater hat sie mir vermacht.« Der Tee plätscherte in die Tasse.
    Sie blickte an ihm vorbei, als wäre er gar nicht da, und er fand es an der Zeit, sein Anliegen vorzubringen. »Ich hätte noch ein paar Fragen zu einem antiken Opferstein.«
    Sie winkte ab. »Sie sollten sich die Beschäftigung mit der Vergangenheit ersparen. Ihr lebt doch alle schnell und hektisch und müsst sehen, dass ihr euch bei allem Eifer für eure Geschäfte auch noch gegenseitig gefällt. In einer Gesellschaft, die immer oberflächlicher und immer kindischer wird – hier, seht mich, mögt mich, ich bin jung, einzigartig und hübsch!« Sie lachte trocken.
    Costa fühlte sich nicht angesprochen. »Ich hätte nichts dagegen, jung, einzigartig und hübsch zu sein, aber in diesem Fall geht es mir um einen hässlich zugerichteten Mann, der unterhalb Ihrer Ausgrabungsstätten ums Leben gekommen ist.«
    »Unterhalb? Wie soll ich das verstehen?«
    »Wir haben in einer Höhle mit einem Zugang zum Meer eine Arbeitshalle entdeckt, in der vor kurzem drei Menschen ermordet wurden. Zwei wurden auf einer Art Opferstein verbrannt, und einer wurde erstickt. Der Sturm am Sonntag

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