Brennende Schuld
schlug vor, er möge am nächsten Samstag zur Feier der UNESCO kommen. »Ein zweiter Teil unserer Stadt ist nun Weltkulturerbe, alle werden da sein.«
Er betrachtete für einen Moment seine staubigen Schuhe; dann schüttelte er den Kopf. ›Alle werden da sein‹ war für ihn nicht die große Verheißung eines schönen Abends. Das sagte er allerdings nicht, sondern gab vor, Empfänge und Reden seien ihm zuwider.
»Ich kann Sie verstehen. Geht mir auch so.«
Er sah auf die Uhr.
Sie begleitete ihn zum Ausgang. »Dieser Fall ist aber eine Ausnahme. Es ist mein Triumph. Nie wieder werden die Lokalpolitiker von Ibiza darüber spekulieren können, ob sie aus dem Gebiet der Nekropolis Bauland machen. Für die Baulandvertreter bin ich selbstverständlich nicht die erfolgreiche Wissenschaftlerin, sondern eine unangenehme Emanze. Wo ich erscheine, bin ich ihnen im Weg.«
Sie war im Haus eines Politikers aufgewachsen, da sollte sie den Umgang mit solchen Dingen gelernt haben.
»Jaume Prats ist Ihr Ziehvater. Von daher sind Ihnen diese Dinge ja vertraut.«
»Nein. Ich war immer der Archäologie ergeben, und die hat mit Politik nicht das Mindeste zu tun.«
Sie entschuldigte sich, sie habe ein wichtiges Telefonat zu führen.
Als er ihr Büro verlassen hatte und durch die Ausstellungshalle ging, sah er Karin vor einer Vitrine stehen. Seine Schritte machten sie aufmerksam, und sie kam ihm strahlend entgegen: »Hallo«, sagte sie, »ich habe im Präsidium angerufen, wo du steckst, und da dachte ich, ich hole dich hier ab, dann ergibt sich vielleicht eine Gelegenheit, die Sanchez noch mal nach einem Interview zu fragen.«
Costa begrüßte sie. »Leider zu spät. Sie sagte, sie muss telefonieren. Aber du kannst es ja trotzdem versuchen.«
»Dann nicht«, sagte sie ein wenig trotzig und enttäuscht. Sie hakte ihn ein und zog ihn zum Ausgang.
Er wunderte sich über ihre Zähigkeit. Als Journalistin konnte sie doch leicht auf andere Quellen ausweichen. »Wenn sie so schwierig zum Interview zu kriegen ist, warum lässt du es dann nicht überhaupt sein?«, fragte er.
Sie wiederholte, was sie schon am Abend zuvor den Eltern Susannes überdeutlich dargelegt hatte, nämlich was für eine besondere Frau die Sanchez sei. Gestern hatte er den Mund gehalten, aber nun widersprach er, weil es so gar nicht seiner Meinung entsprach. Doch das regte sie nur umso mehr an. Sie beschrieb Laureana Sanchez nun in einer Weise, wie er keine Person aus seinem Bekanntenkreis hätte beschreiben können. Sie sprach ruhig und voller Bedacht, aber immer eindringlicher, so dass es ihm vorkam, als errichte sie ein Denkmal. Obwohl er wirklich kein Bewunderer der Sanchez war, berührte es ihn, denn zum ersten Mal seit langer Zeit wurde ihm bewusst, dass er niemanden bewunderte, und schon gar nicht in so entschiedener Weise. Während sie ziellos durch die Altstadt liefen, sie redend und er durstig, fragte er sich, ob seine Kinder wohl Helden hatten oder wenigstens Vorbilder. Bedeutete, jemanden zu bewundern, dass man auch so sein wollte? Wollte Karin also eine erfolgreiche Archäologin sein? Oder war es nur eine Möglichkeit, sich von der Masse zu unterscheiden – durch den Star, den man anbetet und den andere ablehnen? Um bloß nicht einer der vielen Steinschleuderer im Heer der Karthager zu sein, die die Geschichtsschreiber nur als Gattung kannten und die selbst als Gattung nicht erwähnt würden, wären die Inseln hier nicht nach ihnen benannt worden – die Balearen?
»Was bewunderst du denn so an ihr?«, fragte er.
»Ich bewundere an Laureana diese Wucht und Kraft, mit der sie über ihr Thema spricht. Sie hat nur ein Thema – die Karthager. Sie hat keine Hobbys, es gibt für sie keine Attraktionen, keine Ablenkungen, sie interessiert sich ausschließlich für alles, was mit den Karthagern zu tun hat. Eine leidenschaftliche Archäologin.«
Er verstand es immer noch nicht. Karin konnte auch gut reden – sie tat es ja gerade –, sie konnte mit Temperament und Verve Menschen und Dinge anschaulich darstellen. Vielleicht litt sie daran, dass sie als Journalistin nicht bei einem Thema bleiben konnte, sondern immer von Artikel zu Artikel springen musste.
Sie ergriff seine Hand und drehte ihn einmal im Kreis herum, so dass er sich alles ansehen musste. »Sieh hier, das ist der malerischste Teil der Stadt.«
In mittelalterlicher Enge schmiegten sich die Stadtpaläste an die Kathedrale, die kleinen Kirchen, Kapellen und Konvents. An fast jedem Haus wies
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