Brennende Sehnsucht
also erwarten, dass eine junge Frau frisch vom Land den Marquis von Brookhaven abwies?
Vielleicht trifft das alles gar nicht zu. Vielleicht mag sie ihn einfach mehr.
So wie alle anderen auch.
Der bessere Mann.
Ihr Vater, der alte Marquis, hatte das oft zu Rafe in dessen wilder Zeit gesagt. »Ich danke Gott, dass Brookhaven in die Hände eines Mannes kommt, der besser ist als du.«
Calder zu hassen und Phoebe zu missachten hatte zwar einen gewissen finsteren Unterhaltungswert, wies ihm aber keinen Weg aus seinem Dilemma.
Was geschehen war, war geschehen. Calder konnte schwerlich die Verlobung lösen, ohne die Frau zu entehren und seinem eigenen so gut gehüteten Ruf zu schaden, und so etwas würde Calder niemals tun.
Phoebe jedoch...
Er rieb sich mit der Hand übers Gesicht. Sie schien die perfekte Frau für ihn. So süß, so voller irdischer Wärme.
Und aufregend. Er lächelte leise vor sich hin. Süß und doch scharfzüngig, verträumt und doch gewitzt.
Nein. Sie würde die Verlobung niemals lösen. Ein Mädchen wie sie änderte ihre Meinung nicht, wenn sie einmal eine Entscheidung getroffen hatte. Es brachte ihn fast um, wenn er daran dachte, dass diese ganze Loyalität und Süße an dem sauertöpfischen, roboterhaften Calder verschwendet war.
Auch konnte er guten Gewissens kein Wort über letzte Nacht verlieren. Es war harmlos gewesen, größtenteils. Er würde die Dame nicht kompromittieren.
Er richtete sich auf. Eine leise, verzweifelte Gewissheit breitete sich in ihm aus.
Rafe schaute auf seine Hände hinab, die immer noch zu Fäusten geballt waren, und seine Fingerknöchel schimmerten weiß. Er zwang sich dazu, die Fäuste zu öffnen und zu entspannen.
Jetzt hatte Calder also alles. Die Ländereien, den Titel...
Und sie.
In altem Zorn krampften sich seine Finger wieder zusammen.
Der Salon in Tessas gemietetem Haus war ein förmlicher Raum, der mit Bedacht so dekoriert war, dass niemand daran Anstoß nehmen konnte. Doch das pastellfarbene Blumenmuster und die in gedämpften Tönen gehaltenen Streifen stachen Phoebe trotzdem in die Augen.
Aber vielleicht lag es an ihr. Vielleicht war das Ganze ein grässlicher Traum, einer von denen, die einen befielen, wenn man zu viel Schokolade gegessen hatte. Nein, es war alles schrecklich real. Der Vikar strahlte, Tessa trillerte, Deirdre hatte sich in sardonisches Schweigen gehüllt, und Sophie blickte verträumt aus dem Fenster.
Phoebe saß mucksmäuschenstill auf dem Sofa neben dem Marquis von Brookhaven und versuchte pflichtbewusst ihm trotz des Sausens in ihren Ohren zuzuhören. Die Welt hatte eine eigentümliche Schärfe angenommen, und doch schien die Farbe aus Tessas lachsfarbenem Kleid und dem dunklen Gehrock des Vikars gewichen.
Neben ihr war Brookhaven in perfektem Schwarz und Weiß gekleidet. Phoebe selbst trug ein züchtiges Musselinkleid in jungfräulichem Weiß. Zusammen kamen sie ihr vor wie ein angemessener Ausblick auf ihr zukünftiges Leben.
Schwarz und Weiß. Gut und Böse. Kein Platz für Fehler. Keine nachlassende Erwartung. Keine Freiheit. Kein Lachen.
Keine Leidenschaft.
Denn obwohl Brookhaven genauso jung und gut aussehend wie Marbrook war, schien er im Herzen doch eher so zu sein wie der Vikar. Beide Männer waren streng mit sich selbst und anderen. Beide Männer hatten genaue Vorstellungen von den Regeln und Verpflichtungen ihrer Position. Tatsächlich war die Ähnlichkeit im Charakter so auffallend, dass Phoebe eine gewisse bedrückende Beruhigung bei dem Gedanken fand, dass sie doch keinen absolut Fremden heiraten würde.
Doch Phoebe konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der Vikar in der Woche, seit sie ihn zuletzt gesehen hatte, stark gealtert war. Oder hatte sie einfach irgendwann aufgehört, ihn wahrzunehmen, während sie ihr Leben in Thornton wie eine Schlafwandlerin gelebt hatte?
Der Vikar schien ihr übermäßig erschöpft von seiner kurzen Reise aus der angrenzenden Grafschaft, wo er Freunde besucht hatte. Deshalb war der Ausflug in den Hyde Park gestrichen worden, und man traf sich stattdessen zum Tee im Salon.
Alles war wie durch Zauberhand arrangiert worden, ohne dass eine der Damen auch nur ein Wort hätte sagen müssen. Brookhaven hatte eine herrische Art. Selbst Tessas träge Dienerschaft beeilte sich, jeden seiner Wünsche mit größter Sorgfalt zu erfüllen.
Jetzt endlich wandte sich der Vikar an sie. »Nun, meine Liebe, ich muss sagen, das hast du ausgesprochen gut gemacht. Er ist ein
Weitere Kostenlose Bücher