Brennende Sehnsucht
Flüssigkeit ließ ihn nicht so wie sonst vergessen.
Jetzt stand er mit vor Anspannung weißen Fingerknöcheln am Fenster und starrte mit leerem Blick auf die Straße.
Calder war mit Miss Phoebe Millbury verlobt.
Mit seiner Miss Millbury.
Die ganze Nacht über hatte sich Rafe unruhig im Bett hin- und hergewälzt und in Gedanken seinen Antrag an Miss Millbury formuliert. Einen Antrag, der romantisch klingen sollte, nicht verrückt.
Er versuchte die Erinnerung daran zu verbannen, wie er vor sich hin gesummt hatte, während er sein Halstuch gebunden und seinen blauen Gehrock mit den silbernen Knöpfen über Hemd und Weste gezogen hatte.
Calder war natürlich schon seit Stunden auf und erwartete ihn im Frühstückssalon. Rafe hatte sich schweigend zu ihm gesellt. Noch immer dachte er darüber nach, wie er seinem Bruder am besten seine baldige Verlobung beibringen sollte. Calder hatte sich beiläufig geräuspert.
»Du sollst der Erste sein, der es erfährt, Rafe. Ich bin deinem Rat gefolgt, und heute Morgen habe ich die Nachricht erhalten, dass Miss Phoebe Millbury damit einverstanden ist, meine Frau zu werden. Ihre Tante hat im Augenblick die
Vormundschaft über sie, aber Lady Tessa meint, es gäbe sicherlich keine Einwände von Seiten des Vaters. Ich danke dir, dass du mir viel Zeit und Mühe erspart hast.«
Nein.
Einen Augenblick lang, der ihm wie eine Ewigkeit vorgekommen war, hatte er nicht atmen können. Dann gelang es ihm trotz des Tumults in seinem Innern zu sprechen. »Aber der Ball ist erst wenige Stunden her.« Seine Stimme kam krächzend. Das war ihm egal gewesen.
Calder hatte nur gegluckst, offenbar hatte er es nicht bemerkt. »Für so etwas braucht man nicht lange, wenn man die richtigen Leute darauf ansetzt. Sie ist absolut geeignet. Zwar war ihr Urgroßvater ein Kaufmann, aber seither ist ihre Familie ein gutes Stück aufgestiegen, sodass der Unterschied nicht unangemessen ist. Sie bringt kein Geld mit, aber das brauche ich auch nicht.«
Rafe konnte immer noch nicht atmen. In ihm tobte lodernder Zorn. Wieder einmal fiel die reifeste Frucht in Calders ach so verdiente Hand.
Aber Moment, nur weil Calder ihr einen Antrag gemacht hatte, hieß das noch lange nicht...
»Sie hat meinen Antrag postwendend angenommen«, war Calder fortgefahren. »Ich halte das für geradezu bewundernswert entschlossen, du nicht auch? Miss Millbury muss eine sehr praktisch veranlagte und wenig romantische Frau sein.«
Postwendend. Sie hatte offenbar keine Sekunde gezögert. Warum sollte sie auch? Dieser Moment im Garten, das sanfte Flüstern des Möglichen, das in der Luft zwischen ihnen gehangen hatte... er war wohl der Einzige gewesen, der es gespürt hatte.
Kain und Abel – Mord unter Brüdern. Rache biblischen Ausmaßes kam ihm gerade passend vor.
Rafe konnte seinen Bruder nicht töten, aber er konnte ihn mit dem Gesicht nach unten auf den Marmorboden der Eingangshalle pressen und jeden Augenblick davon genießen.
Phoebe.
Rafes Hände hatten sich zu Fäusten geballt und den perlmutternen Griff der Gabel entzweigebrochen. Er hatte den stechenden Schmerz nicht gespürt, als die Kanten sich in sein Fleisch bohrten.
So sehr er auch hasste es zuzugeben – und es brauchte einige Gläser Brandy, bis er es zugab -, konnte er niemandem als sich selbst die Schuld dafür geben. Er konnte jetzt ganz deutlich sehen, was er falsch gemacht hatte.
Hinterher war man immer schlauer, und es brachte dem Verlierer nichts ein. Die Tatsache, dass er Phoebe auf Calder zugetrieben hatte wie ein gut ausgebildeter Jagdhund das Rebhuhn auf den Jäger, machte alles nur noch schlimmer.
Natürlich hatte er dann eine gute Stunde damit verbracht, sich einzureden, dass ein Abend in einem mondbeschienenen Garten mit einem köstlichen Engel keine Bedeutung hatte.
Dann war er wieder dahin zurückgekehrt, Calder vorzuwerfen, sich wieder einmal alles Gute unter den Nagel zu reißen.
Und sie hatte seinen Antrag angenommen – wie konnte sie nur?
Wie konnte sie nicht? Ein Mädchen wie sie – die Tochter eines Vikars – was sollte sie tun? Dem reichsten Mann Londons einen Korb geben? »Nein danke, Mylord. Ich möchte nicht Eure Marquise werden.«
Nun, Calder war nicht der reichste Mann Londons. Nicht ganz. Er war auch nicht der mächtigste, wenngleich nur vier
oder fünf über ihm standen. Er war auch noch attraktiv, denn er sah Rafe ziemlich ähnlich, und Rafe hatte nie irgendwelche Beschwerden über sein Aussehen erhalten. Wie konnte er
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