Brennende Sehnsucht
was sie wirklich wollte. Oder war es nur, was sie wollen sollte?
Die Sopranstimme erhob sich zur stuckverzierten Decke. Lord Brookhaven beugte sich zu ihr und murmelte anerkennend.
Phoebe nickte automatisch. Ihre ganze Existenz war wie ein schöner Traum.
Warum nur sehnte sie sich dann so dringend danach, aufzuwachen?
»Marbrook, wo um alles in der Welt habt Ihr gesteckt?«
Eine große, gertenschlanke, in feinsten Pelz gewandete Frau erwartete ihn ungeduldig. Sie ließ ihren Umhang von den Schultern gleiten und offenbarte einen tief ausgeschnittenen Hauch aus silberner, sich an ihren Körper schmiegende Seide, der sich nur mit bestem Willen Kleid nennen lassen konnte. Haar vom glänzenden Blauschwarz einer Rabenfeder fiel ihr offen auf den Rücken und scherte sich nicht um die derzeitige Mode. Ein Blick aus Augen so silbern wie die eines Wolfes musterte ihn von den Stiefelsohlen bis zum Scheitel, während die Frau hochmütig das Kinn hob.
Lilah. Als er die große Empfangshalle der Royal Concert Hall betrat, erwog Rafe kurzfristig, auf dem Absatz kehrtzumachen und zu verschwinden, aber es war zu spät. Lilah hatte ihn erspäht. Ein raubtierhaftes Lächeln gab ihrem hübschen Gesicht etwas Sinnliches, Verruchtes. Selbstverständlich war das einst ein wichtiger Faktor bei ihrer ursprünglichen Anziehung auf ihn gewesen, aber jetzt ließ es ihn kalt. Er bereute bereits, dem Impuls nachgegeben zu haben, sie an diesem Abend einzuladen.
Lady Lilah Christie war eine faszinierende Schönheit und wahre sinnliche Freude. Sie verfügte über den zusätzlichen Nutzen eines Ehemannes, der wegschaute, weil er offenbar dankbar dafür war, sie an seiner unwürdigen Seite zu wissen. Die meisten Männer der feinen Gesellschaft würden ihr halbes Vermögen dafür hergeben, einen einzigen Abend lang ihre Aufmerksamkeit zu erringen. Rafe selbst hatte sie nur
durch unnachgiebiges und unermüdliches Werben für sich gewinnen können.
»Hallo, Darling.« Ihre rauchige Stimme kam einem intimen Schnurren gleich. Sie trat ein bisschen zu nah an ihn heran und ließ ihren Blick besitzergreifend über seinen Körper schweifen. Noch vor wenigen Monaten hätte er keiner weiteren Einladung bedurft.
Doch jetzt, da nur wenige Zentimeter ihn von Lilah trennten, kribbelte seine Haut nur ein kleines bisschen. Er wollte Abstand zwischen sich und sie bringen – und möglicherweise ein Bad nehmen.
Das war neben seiner Reizbarkeit und seinem sonstigen merkwürdigen Verhalten eine erschreckende Entwicklung. »Vornehme Unpünktlichkeit, wie immer, Mylady«, erwiderte er unbehaglich.
Mit ihrem sündigen Enthusiasmus und ihrem unverschämten Einfallsreichtum hatte Lilah Rafes Interesse länger als jede andere Geliebte gehalten. Tatsächlich war sie seiner zuerst überdrüssig geworden, zumindest hatte sie das behauptet. Jetzt schien sie ihre Ablehnung noch einmal zu überdenken.
Du hast unglaubliches Glück, Mann. Sag dir das immer wieder.
Mit einer Verbeugung bot er Lilah seinen Arm, und sie betraten den eigentlichen Konzertsaal unter Getuschel und Seitenblicken. Lilahs Affären boten immer den allerbesten Stoff für Klatsch und Tratsch. Rafe fand sich damit ab, dass er wieder einmal in aller Munde wäre.
Während er Lilah zu einem Platz führte, warf er einen letzten sehnsüchtigen Blick zum Ausgang. Mit einem Mal wurde seine Aufmerksamkeit vom Lichterglanz auf einem bestimmten Blondschopf, vom vertrauten Heben eines bestimmten Kinns gefesselt.
Sie ist hier.
Sein ganzes Wesen konzentrierte sich auf Phoebe wie ein Jagdfalke auf eine Taube. Das Konzert fing an, aber er hörte keine einzige Note. Sein Bewusstsein war auf den winzigen Punkt fokussiert, wo sie neben Calder saß. Ihr stupsnäsiges Profil, die Kurve ihrer Wange, der zarte Haarflaum in ihrem Nacken – all das reichte aus, dass sein Mund trocken wurde und sein Hals sich zuschnürte.
Als Calder sich zu ihr beugte, um ihr etwas zuzuflüstern, bemerkte Rafe, dass sie sich versteifte. Sie wich nicht vor ihm zurück – nicht ganz -, aber sie lehnte sich auch nicht vertraulich an den Mann, den sie zu heiraten beabsichtigte.
Interessant.
Oder auch nicht. Sie schien schließlich von Natur aus in der Öffentlichkeit prüde zu sein.
So folterte er sich fortwährend. Sie mag ihn nicht. Sie mag ihn. Sie verabscheut ihn. Sie mag ihn.
Calder selbst war anfangs nur ein Schemen am Rand von Rafes Wahrnehmung, aber im Laufe des Abends konnte Rafe nicht umhin zu bemerken, dass Calder...
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