Brennende Sehnsucht
entweder zu einer toten, erstarrten Imitation der Frau zu werden, die du jetzt bist, oder aber vor Verzweiflung verrückt zu werden und dir irgendein Leid anzutun? Es ist schon einmal passiert.«
Sie schaute hinab auf ihre Hände in seinen. »Melinda«, sagte sie tonlos.
»Sie war gar nicht so viel anders als du, weißt du«, sagte er eilig. »Sie glaubte, sie könnte mit Wohlstand und Status zufrieden sein. Sie glaubte, dass ihr Leben schön wäre, wenn es von außen danach aussah, aber am Ende wollte sie mehr als leere, eisige Vornehmheit – sie sehnte sich so sehr nach mehr! Bis sie schließlich beschloss, dass sie keinen Tag länger ohne es leben konnte.«
Sein Blick suchte in dem ihren nach einer Antwort, aber sie fühlte sich erstarrt.
»Phoebe, begreifst du es denn nicht? Du kannst dem Ganzen ein Ende setzen, jetzt, in diesem Augenblick. Kannst allem eine neue Wendung geben. Entscheide dich für mich!« Er senkte die Stirn auf ihre sich umklammernden Hände. »Du kannst glücklich sein«, sagte er heiser. »Ich kann dich glücklich machen, das schwöre ich.«
Ein glückliches Leben . Rafe, für immer der ihre. Die Nächte – oh Himmel, diese Nächte! – und dann die Morgende, wenn die Sonne durch die Fenster eines kleinen, aber wunderschönen Cottages schien. Und wenn sie miteinander ausgingen.
Wenn sie miteinander ausgingen, würde es anfangen. Getuschel. Seitenblicke. Spott.
»Die Braut des Lebemanns...«
»... skandalöse Ehe ...«
Ein schlechter Ruf ein Leben lang. Sie hatte sich inzwischen lange genug in den »besseren« Kreisen aufgehalten, um zu erkennen, dass ihr Vater die ganze Zeit recht gehabt
hatte. Klatsch und Tratsch hörten nie auf. Sie lebten ewig und nahmen ungeheure Ausmaße an, bis niemand mehr wusste, wie es wirklich gewesen war oder sich auch nur darum scherte.
Panik durchwallte sie, bis es in ihren Ohren. Keuchend riss sie sich von ihm los. »Ich bekomme keine Luft – kann nicht nachdenken.« Sie schüttelte wild den Kopf. »Nein! Ich will mich nie wieder so fühlen! Ich habe Angst!«
»Angst?«
Ihre Hände fingen an zu zittern. Ja, Angst. Ich habe solche Angst davor, wieder an diesem verlassenen, entsetzlichen Ort zu sein, wo man immer im Unrecht ist . Sie drückte ihn heftig von sich. »Oh nein. Ich könnte es nicht ertragen!«
»Was ertragen? Phoebe, rede mit mir!«
Sie versuchte wieder so weit zu Atem zu kommen, um ihm zu antworten. »Ich werde bereits beobachtet, nachgeäfft, bin Ziel des Geredes – einfach nur weil ich mich verlobt habe! Was meinst du wohl, würde die Welt von mir halten, wenn ich einen Marquis für einen illegitimen Casanova sitzen ließe?«
Sie sah den Schmerz in seinen Augen aufflammen und schüttelte den Kopf. »Es tut mir leid. Du weißt, dass ich dir weder deine Herkunft noch deine Vergangenheit vorhalte... aber sie werden es mir vorhalten! Wo auch immer ich hingehe, für den Rest meines Lebens werden sie über mich tuscheln und mit dem Finger auf mich zeigen. Sie werden mich Braut des Bastards nennen, oder geflohene Herzogin oder etwas noch Schlimmeres.«
»Aber das ist doch nur Gerede«, sagte er sanft. »Nur Gerede. Was macht das schon?«
Sie erstickte schier an ihrem bitteren Lachen. »Wenn dich zu heiraten für mich schon so schlimm wird, wenn ich so für dich empfinde...«, sie keuchte, bekam kaum Luft. Sie
erstickte schon jetzt schier an der Last dieser Zukunft! »Was meinst du wohl, wie mein Vater reagieren würde? Meine Cousinen? Die Familie nebenan, die ihre Kinder nicht mit unseren spielen lassen wird, die Leute, die den Ballsaal verlassen, wenn wir eintreten?«
»Lass sie doch gehen! Wir werden alleine tanzen, wenn es sein muss!«
»Alleine? Weißt du überhaupt, was es bedeutet, allein zu sein? Du hast immer Calder gehabt. Ich habe nur den Vikar. Du weißt nicht, was es bedeutet, wenn die dir entgegengebrachte Liebe am seidenen Faden hängt. Die Angst, dass eine falsche Bewegung diesen Faden für immer durchtrennen und man sie für immer verlieren könnte.« Der Gedanke raubte ihr erneut die Luft aus der Lunge.
Er zog die Augenbrauen zusammen. »Hast du meinen Bruder nicht kennengelernt?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Calder liebt dich. Du hast ihn jahrelang auf die Probe gestellt, und er ist immer noch für dich da.«
»Nein, das ist er nicht.« Rafe setzte sich erschöpft auf den gegenüberliegenden Sitz. »Jedenfalls nicht nach heute Nacht.« Rafe lächelte schief. Er streckte den Arm nach oben aus und klopfte an
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