Brennender Stahl (von Hassel)
etwas »mal schnell« zu reparieren, oder etwas anderes zu tun als sie geplant hatten, weil das Boot mal wieder »zickig« war, und sie lernten, es trotzdem als Waffe zu gebrauchen. Aber die Nerven lagen blank. Weder der Ausbildungsbetrieb noch die Übungen, die der Kommandant ständig zusätzlich ansetzte, waren dazu angetan, die Männer irgendwann einmal zur Ruhe kommen zu lassen. So litten sie. Sie litten Tag und Nacht.
Die Männer litten auf verschiedene Art. Seeleute wie Braunert oder der junge Lauer würden die Agru als eine endlose Aneinanderreihung von Wachen im Schneetreiben in Erinnerung behalten. Stunden, in denen die Zeit nie zu vergehen schien, während die eisige feuchte Kälte sich immer weiter durch die Lagen der Kleidung tastete, in denen trotz dicker Handschuhe die Finger abzusterben drohten und jedes Fernglas in Windeseile beschlug. Sie lernten trotzdem, sich nicht ablenken zu lassen, denn Wachsamkeit war ihre beste Waffe. Aber wenn sie nach der Wache steif gefroren an der schmalen Leiter hinunter in die Zentrale rutschten und die Kameraden ihnen helfen mussten, die starren Glieder wieder aus dem Ölzeug zu befreien, dann lernten sie auch das Gefühl kennen, dass wieder einmal für die Zeit einer Wache alles gut gegangen war. Und meistens dachte sowieso keiner von ihnen weiter als bis zur nächsten Wache.
Heizer, wie das technische Personal genannt wurde, obwohl es wenig zu heizen gab, litten anders. Männer wie der Motorenmaat Peters, der Maschinengefreite Berger oder auch der Elektrowilli, Wilhelm Hochhuth, kämpften nicht mit der Kälte. Sie trugen ihren Kampf mit der Hitze aus, mit Öldämpfen, Lärm und den ständigen technischen Pannen. Achtern im Boot kam zuerst der Dieselraum. Die beiden schweren MAN-Aggregate leisteten einige tausend PS. Wie große geduckte Tiere waren sie links und rechts des schmalen Laufganges montiert, so, dass die Maschinenleute jederzeit an die Ventile kommen konnten. Die schmalen Eisenplatten reichten aus, dass ein Mann sich hier noch gerade eben frei bewegen konnte. Aber wenn etwas repariert wurde, dann wurde es eng. Wenn ein Diesel ausfiel, lief der andere weiter. Der schmale Raum hinter dem Schott wurde zu einer Höhle aus stickiger Luft, Ölgeruch und dem unablässigen Donnern der schweren Maschinen, die jedes Gespräch unmöglich machten. Wenn Daniel Berger nach seiner Wache in seine Koje fiel, die noch warm von seinem Vorgänger war, der die Wache übernommen hatte, war er manches Mal alleine von dem ständigen Lärm völlig erschöpft und nach wie vor donnerten die Diesel in seinem Schädel nach, als verfolgten sie ihn.
Für Wilhelm Hochhuth war es nicht der Lärm. Selbst wenn das Boot getaucht lief, machten die beiden E-Maschinen nie Lärm. Es wäre andernfalls auch tödlich für das Boot gewesen. Selbst bei AK Voraus summten sie mehr oder weniger leise vor sich hin und waren bei Schleichfahrt kaum zu hören. Aber natürlich konnte sich auf U-68 niemand darauf verlassen, dass alles funktionierte, und so wurde auch im E-Maschinenraum immer von einem Heizer aufmerksam Wache gegangen. Ganz hinten, noch hinter dem Dieselmaschinenraum. Hier hinten gab es keine Stehhöhe, und selbst der Laufgang zwischen den beiden Maschinen erlaubte kaum, sich zu drehen. Gegen den Dieselmaschinenraum war der E-Maschinenraum mit einem Schott verschlossen.
Wilhelm Hochhuth kämpfte mit der Angst und der Einsamkeit. Niemand war so weit von der Zentrale entfernt, wie ein E-Heizer im E-Maschinenraum. Was immer dort vor sich ging, er würde es als letzter erfahren. Für ihn war es jedes Mal, als sei er der letzte Mensch an Bord. Soweit es ihn betraf, konnte das Boot auch schon genauso gut auf dem Weg zum Grund sein. Stunde um Stunde saß er hier und starrte die gerundeten Bordwände an. Viel zu tun gab es meistens nicht, aber der E-Maschinenraum war auch kein Ort für jemanden mit zuviel Zeit oder Fantasie. Die Männer, die sich hier hinten abwechselten sprachen nicht darüber, aber gerade jeder von ihnen hatte eine genaue Vorstellung davon, wie es sein würde, wenn ihre dünne Eierschale einen Knacks bekam und die eiskalte See, die draußen jenseits der Stahlröhre lauerte, in ihr kleines Reich einbrach. Für Hochhuth, der bereits den Untergang des alten Bootes von Hassels überlebt hatte, bedeutete es, weiter auf das Unvermeidliche zu warten. Als ob das Schicksal ihn für etwas anderes, etwas noch Heimtückischeres aufgespart hätte! Trotzdem ging er seine Wachen, denn etwas
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