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Brennendes Land

Brennendes Land

Titel: Brennendes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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kommt das? Das ist doch eine interessante Frage. Ich hab mir immer vorgestellt, ich würde mich wie Evariste Galois verhalten. Die Mathematikerin, weißt du. Ich würde meine gewagtesten Spekulationen in mein Notizbuch eintragen und hoffen, dass sie eines Tages jemand versteht… Weißt du, wenn man das Problem durchdenkt, gibt es eine naheliegende Schlussfolgerung. Der Tod ist universell, aber den Zeitpunkt seines Todes zu kennen, ist ein unglaubliches Privileg. Und da man ihn wahrscheinlich nie erfahren wird, sollte man sich irgendwann mal ein paar Stunden Zeit nehmen und sein Testament machen. Findest du nicht? Das ist nach Maßgabe der Dinge die rationale Schlussfolgerung. Ich hab es wirklich mal getan – im Alter von elf Jahren.« Sie schöpfte Atem. »Seitdem leider nicht mehr.«
    »Das ist schade.« Greta war offenbar völlig verängstigt. Sie plapperte unkontrolliert drauflos. Seine eigene Angst hatte sich vollständig verflüchtigt. Er war erfüllt von Beschützerinstinkt. Er fühlte sich beschwingt, nahezu trunken. Er würde alles tun, um sie zu retten.
    »Aber ich bin nicht mehr elf. Jetzt weiß ich, was Erwachsene in dieser Lage tun. Mit großen Ideen hat das nichts zu tun. Man will nur eines, nämlich Sex.«
    Diese Bemerkung traf Oscar unvorbereitet, hatte aber die Wirkung eines Streichholzes, das man an ein ölgetränktes Tuch hält. Die zugrundeliegende Wahrheit war so zwingend, dass ihm keine Entgegnung einfiel. Er wurde von so heftiger Angst und Erregung überschwemmt, dass es ihm beinahe das Hirn spaltete. Ihm klingelten die Ohren, und seine Hände begannen zu jucken.
    »Und wenn ich gegenwärtig nicht gefesselt wäre…« flüsterte sie leidenschaftlich.
    »Eigentlich«, wisperte er, »macht mir das nicht viel aus…«
    Der Lautsprecher schaltete sich knackend ein. »Okay. Hören Sie auf der Stelle damit auf. Schluss damit. Das ist wirklich abstoßend.«
    »Hey!« mischte sich eine männliche Stimme ein. »Lass sie doch.«
    »Bist du verrückt?« entgegnete Willis.
    »Mädchen, du warst nie im Krieg. Das ist die Nacht, bevor man getötet wird – Teufel noch mal, da hat man’s nötig. Da bespringt man alles, was einen Rock trägt.«
    »Ha!« rief Oscar. »Das gefällt Ihnen nicht? Dann kommen Sie nach hinten und hindern Sie uns daran.«
    »Lassen Sie’s nicht drauf ankommen.«
    »Was können Sie uns schon anhaben? Wir haben nichts mehr zu verlieren. Sie wissen, dass wir ein Paar sind. Klar, das ist unser großes Geheimnis, aber wir haben nichts mehr zu verstecken. Sie sind nichts weiter als Voyeure. Sie bedeuten uns nichts. Zum Teufel mit Ihnen! Wir können tun, was wir wollen.«
    Greta lachte. »So hab ich’s noch nicht betrachtet«, sagte sie impulsiv. »Aber es stimmt. Wir zwingen sie nicht zum Zuschauen. Sie können gar nicht anders.«
    »Scheiße, ich will ihnen zuschauen«, sagte der männliche Entführer. »Die Einstellung gefällt mir! Ich stell ihnen extra Musik an.« Ein Radio wurde eingeschaltet. Es lief gerade ein flotter Cajun-Twostep.
    »Nimm die Finger weg!« kommandierte Willis.
    »Sei still! Ich kann zuschauen und gleichzeitig fahren.«
    »Ich setz die beiden unter Gas.«
    »Bist du denn wahnsinnig? Tu’s nicht. Hey!«
    Der Wagen geriet heftig ins Schlingern. Matsch spritzte gegen die Kotflügel, und das überladene Fahrzeug kam von der Fahrbahn ab und drehte sich halb. Oscar prallte schmerzhaft gegen die Trennwand. Der Wagen kam zum Stehen.
    »Jetzt hast du’s geschafft«, sagte Willis.
    »Werd nicht hysterisch«, knurrte der Mann. »Wir werden schon rechtzeitig da sein.«
    »Nicht, wenn gerade die Achse gebrochen ist, du elender Lüstling.«
    »Hör auf rumzunerven, lass mich nachdenken. Ich seh mal nach.« Eine Wagentür öffnete sich quietschend.
    »Ich habe mir den Arm gebrochen!« schrie Oscar. »Ich verblute!«
    »Würden Sie bitte aufhören, so gottverdammt clever zu sein?« brüllte Willis. »Herrgott noch mal, sind Sie eine Nervensäge! Wieso machen Sie’s uns nicht allen leichter? Das hätte nicht sein müssen! Halten Sie den Mund und schlafen sie.« Es ertönte das bösartige Zischen von Gas.
     
    Oscar erwachte im Dunkeln vom lauten Geräusch berstenden Metalls. Er lag auf dem Rücken, und auf seiner Brust lastete ein schweres Gewicht. Es war bedrückend heiß, und er hatte den Geschmack von Aluminiumpulver im Mund.
    Es ertönte ein durchdringendes Kreischen und dann ein dumpfes Ploppen. Ein messerscharfer Keil Sonnenlicht fiel auf Oscar. Er stellte fest, dass

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