Brennendes Land
unvermittelt ab. Bislang hatte er sich noch keine Gedanken über die Optionen gemacht, welche den Behörden zur Verfügung standen. Die Optionen der Behörden wirkten auf den ersten Blick nicht sonderlich vielversprechend. Greta Penninger – und ihre Verbündeten – hatten soeben ein gepanzertes biologisches Labor erobert. Die Anlage war explosionsgeschützt und mit einem Labyrinth unterirdischer Räume ausgestattet. Hier lebten Hunderte höchst fotogener Tierarten, die eine Nahrungsquelle darstellten und als potenzielle Geiseln dienen konnten. Die Anlage verfügte über eine eigene Wasserversorgung, eine eigene Stromversorgung, sogar über eine eigene Atmosphäre. Finanzielle Drohungen und Embargos hätten keine Wirkung, denn das Finanzsystem hatten bereits die Computerviren lahmgelegt.
Die Anlage war von der Außenwelt völlig abgeriegelt. Gretas Westentaschenrevolutionäre hatten die Informationshoheit. Sie verfügten über die Produktionsmittel und über eine loyale, aufgebrachte Bevölkerung, welche der Außenwelt heftiges Misstrauen entgegenbrachte. Sie hatten eine mächtige Festung erobert.
Greta wandte sich an Kevin. »Wann können wir die beschissenen Prolohandys wegschmeißen und wieder unser eigenes Telefonsystem benutzen?«
»Also, zunächst muss ich mich vergewissern, dass es hundertprozentig sicher ist«, meinte er hilfsbereit. »Wie viele Programmierer können Sie mir zur Verfügung stellen?«
»Ich werde unter dem Personal nach Telekommunikationsspezialisten suchen lassen. Können Sie mir hier in der Polizeistation ein Büro einrichten? Ich werde wahrscheinlich viel Zeit hier verbringen.«
Kevin grinste verwegen. »Hey, Sie sind der Boss, Dr. Penninger!«
»Ich muss mal eine Pause machen«, wurde Oscar bewusst. »Vielleicht sollte ich mich mal richtig ausschlafen. Das war wirklich ein nervenaufreibender Tag.« Die beiden beachteten ihn nicht. Sie waren mit ihren eigenen Angelegenheiten beschäftigt. Oscar verließ das Polizeigebäude.
Als er durch die dunklen Parkanlagen zum hoch aufragenden Hochsicherheitstrakt stapfte, wurde er von jäher Erschöpfung überwältigt. Auf einmal kamen ihm die Erfahrungen des Tages völlig verrückt vor. Er war entführt, unter Gas gesetzt und mit Bomben angegriffen worden; er hatte Hunderte von Meilen in trostlosen, ramponierten Fahrzeugen zurückgelegt; er hatte eine unheilvolle Allianz mit einer mächtigen Bande sozialer Outcasts geschmiedet; man hatte ihn verleumdet, der Unterschlagung und der Flucht über die Staatsgrenze beschuldigt… Er hatte eine Gruppe von Polizisten eingesperrt; er hatte einen bewaffneten Flüchtling zur Aufgabe überredet… Und nun taten sich seine Gelegenheitsgeliebte und sein gefährlich unausgeglichener Sicherheitschef zusammen, um hinter seinem Rücken Ränke zu schmieden.
Das war schlimm. Das war katastrophal Aber es konnte noch schlimmer kommen. Denn morgen war auch noch ein Tag. Morgen würde er eine massive PR-Offensive starten müssen, um sein Vorgehen irgendwie zu rechtfertigen.
Auf einmal wurde ihm klar, dass er es nicht schaffen würde. Die Last war erdrückend. Es war einfach zu viel. Er befand sich in einem Zustand psychischer Überlastung. Er hatte am ganzen Körper blaue Flecken; er war hungrig, müde, überreizt und traumatisiert; sein Nervensystem vibrierte von abgestandenem Adrenalin. Gleichwohl hatte er in seinem tiefsten Inneren ein gutes Gefühl, was die Ereignisse des Tages anging.
Er hatte sich selbst übertroffen.
Wohl wahr, ihm war ein böser Schnitzer unterlaufen, und er war entführt worden. Anschließend aber hatte er sämtliche Situationen und alle sich entwickelnden Krisen mit erstaunlicher Selbstsicherheit erfolgreich gemeistert. Jeder einzelne Schritt war in dem Moment richtig, jede Entscheidung inspiriert gewesen. Es waren einfach zu viele gewesen. Er ähnelte einem Eiskunstläufer, der eine endlose Abfolge von Dreifach-Axeln vollführte. Irgendwann musste irgendetwas reißen.
Auf einmal verspürte er ein Bedürfnis nach Schutz. Nach physischem Schutz. Nach verschlossenen Türen und lang anhaltender Stille.
Ins Hotel zu gehen kam nicht infrage. Dort warteten Menschen, Fragen und Probleme. Dann also der Hochsicherheitstrakt.
Er stapfte in die Schleuse des Hochsicherheitstrakts, die nun von zwei älteren Nomadensergeants bewacht wurde, die Nachtschicht hatten. Die verkleideten Omas unterhielten sich mit Fadenspielen, wozu sie aus chemisch behandeltem Schwamm hergestellte Jo-Jos verwendeten.
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