Brennendes Schicksal (German Edition)
krächzenden, klopfenden und quietschenden Lauten, der sich bald lichtete und zur Melodie wurde.
Angelo da Matranga schritt herein, hob den Taktstock und betrachtete jedes einzelne Mitglied seines Chores aus den schwarzen Augen, die von buschigen Brauen beschirmt waren. Der Chor zeigte konzentrierte Gesichter. Hier und da räusperte noch jemand die Stimme frei, dann hob Angelo da Matranga den Taktstock. Die wenigen Zuhörer in den Logen beugten sich ein wenig weiter nach vorn, als die Musik einsetzte. Die Altistinnen nahmen den Ton auf und führten die Melodie zu den Sopranistinnen, welche sie in die höchste Höhe trieben und wieder hinab, bis sie von den Baritonen aufgefangen und an die Tenöre weitergereicht wurde.
»Halt! Aufhören!«
Angelo da Matranga ließ den Taktstock sinken und runzelte die Stirn. »Euer Gesang klingt wie ein Ritter, der in voller Rüstung vom Gaul stürzt. Und die Musiker sind auch nicht besser. Noch einmal von vorn.«
Ein leises, gemeinschaftliches Seufzen aus nahezu vierzig Kehlen füllte den Raum, dann hob der Gesang erneut an. Diesmal war der Visconte zufrieden. Er schloss die Augen, schwelgte in den Klängen, wiegte die Schultern hin und her. Sein voller Mund hatte sich zu einem Lächeln verzogen.
Eine Sopranistin trat vor, blickte zum Maestro und setzte zu einem Solo an. Die ersten Töne klangen durch den Saal, da riss Angelo da Matranga erschrocken die Augen auf. Sein Gesicht war so verzerrt, als stünde er alle Qualen der Hölle aus.
»Was ist das?«
Die Frage war nicht mehr als ein heiseres Flüstern. Plötzlich war alles still im Saal. Nur die Fackeln knisterten leise, in der Loge knarrte ein Lehnstuhl.
»Was ist das?«, wiederholte der Visconte. Er hatte die linke Hand hinter das Ohr gelegt, sein Gesicht zeigte noch immer Entsetzen.
Aus den Reihen der Männer löste sich eine vierschrötige Gestalt mit der Figur eines Jahrmarktgauklers.
»Die Sopranistin liegt im Krankenbett. Es geht ihr nicht gut. Wir haben schon eine Messe lesen lassen, damit sie am Leben bleibt. Ersatz haben wir keinen. Gianna war die Einzige, die den Mut hatte, heute diesen Part zu singen.«
Der Visconte nickte. Dann nahm er die Hand vom Ohr und zwang sich ein Lächeln ab. »Danke, Gianna. Ihr habt es wohl so gut gemacht, wie Ihr konntet.«
»Ja, das habe ich, Visconte Angelo.«
Der Bürgermeister von Siena trat einen Schritt zurück und betrachtete jede einzelne Sängerin seines Chores.
Der Geruch der zahlreichen verschiedenen Duftwässer, Haaröle, Seifen und Schminkpasten, vermischt mit dem Schweiß der Leiber, machte ihn ein wenig benommen.
Es war heiß im Saal, stickig und schwül. Am liebsten hätte Angelo da Matranga die Fenster aufgerissen, doch das ging nicht.
Er sah Hilfe suchend zu den dunkelroten Samtvorhängen, die das Muster der gepolsterten Lehnstühle aufnahmen, und seufzte.
»Es ist heiß«, sagte er und zerrte ein wenig am Kragen seines Wamses.
»Wer von Euch etwas ablegen kann, der soll es tun. Wer schwitzt, kann nicht gut singen.«
Er hatte den Satz noch nicht zu Ende gesprochen, da wurden Wämser geöffnet, Schultertücher abgelegt, Mieder gelockert. Wieder stieg ein Duft nach heißen Leibern in Angelo da Matrangas Nase, sodass ihm beinahe schwindelig wurde. Es war unerträglich stickig hier. Die Luft war so schwül wie am Abend nach einem langen Sommertag, wenn die Gewitterwolken über den Hügeln der Toskana aufzogen.
Am liebsten hätte er sein Wams ganz und gar abgelegt, sich in einen der Lehnstühle gesetzt, die Beine weit von sich gestreckt, den Kopf nach hinten gebeugt.
Er liebte diesen Geruch, der entstand, wenn viele Frauen beieinander waren. Dieser typische Duft der Frauen, eine Mischung aus Rosen- und Pfirsichkernöl, Lavendelseife und Birkenwasser, gemischt mit flüchtigen Küchengerüchen und dem typisch weiblichen Aroma nach Milch und Honig. Der Geruch und die unbeschreibliche Stickigkeit im Saal machten ihn träge.
Angelo da Matranga nahm ein Tüchlein und wischte sich damit über den Nacken, senkte den Kopf dabei und machte ein paar Grimassen, um die Trägheit abzuschütteln.
Dann richtete er sich auf und sagte: »In acht Wochen findet unser großes Passionsspiel auf dem Campo statt. Nicht nur aus der Stadt werden Besucher kommen, nein, aus der ganzen Republik. Vertreter aus Lucca, San Gimignano, Montepulciano und sogar aus Florenz werden erwartet. Wir brauchen bis dahin einen Sopran, der so rein und hell klingt wie der Gesang eines Engels. Was tun
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