Brennpunkt Nahost
Politik der Repression – ein verzweifelter Versuch, die eigene Macht abzusichern, der aber die anfangs friedlichen Demonstranten immer mehr radikalisierte. Deserteure gründeten die FSA, lose Verbände, die sich kaum untereinander koordinierten in ihrem Kampf gegen die hochgerüstete Armee Assads. Immer mehr radikale Sunniten bewaffneten sich und riefen zum Heiligen Krieg gegen den Alawiten Assad auf.
Heute, zweieinhalb Jahre nach Beginn der Auseinandersetzungen, ist aus dem Ruf nach einer gerechteren Gesellschaft der Kampfruf ›Allah u Akbar‹ geworden. Sunnitische Djihadistenbrigaden kämpfen gegen schiitische Hisbollah-Milizen, Saudi Arabien und Katar versuchen Syrien zum Schlachtfeld gegen den Iran zu machen. Der Aufstand der Syrer ist zum arabisch-iranischen Stellvertreterkrieg des Nahen Ostens geworden, von dem niemand sagen kann, wer am Ende gewinnt, sofern es überhaupt so etwas wie einen Sieger geben wird.
Die Verlierer stehen heute schon fest: die Syrer selbst, die in die Nachbarländer fliehen oder im eigenen Land als Binnenflüchtlinge umherirren. Wenn sie eines Tages zurückkehren, finden sie ein zerstörtes Land vor. Und dennoch gibt es nach wie vor die friedlichen Demonstranten. Allerdings werden sie kaum noch wahrgenommen. Organisationen wie Syrian Revolution General Kommission (SRGC), Local Coordination Committees in Syria (LCC) oder Syrian Revolution Coordinators Union (Union) ist der Wunsch gemein, Assad zu stürzen, aber auch dies: den Sturz wollen sie immer noch mit friedlichen Mitteln erreichen.
Und es gibt friedliche Oppositionelle selbst noch in Damaskus, die sich sogar offen zu ihrer Haltung bekennen, die also unmissverständlich sagen: »Assad muss weg. Früher oder später.« Sie treffen sich regelmäßig, in privaten Wohnungen oder Büros, sind bekannt und werden dennoch nicht verhaftet, sie werden geduldet vom Regime, vielleicht als Feigenblatt, vielleicht als Rückversicherung in die Zukunft. Es sind junge Syrer, die heftig die Zeit nach Assad planen. Liberale und Linke zumeist, die sich zumindest untereinander kennen und sich austauschen. Religion spielt für sie politisch keine Rolle. Zu ihnen gehören auch Christen oder Alawiten oder auch altgediente Oppositionelle, die selbst lange als politische Gefangene eingesperrt waren und trotz Folter ungebrochen für ein neues Syrien arbeiten.
Einer hat mir besonders imponiert, Abdul Aziz al-Khair. Er war ein führendes Mitglied der Kommunistischen Partei Syriens und hatte mehr als zehn Jahre im Untergrund gelebt. 1992 wurde er verhaftet, gefoltert und zu 22 Jahren Gefängnis verurteilt. 2005 wurde er auf Anordnung des Präsidenten Baschar al-Assad aus dem Gefängnis entlassen. Eigentlich durfte er sich politisch nicht mehr betätigen, wollte er nicht eine neue Gefängnisstrafe riskieren. Er ließ sich aber nicht einschüchtern. Zusammen mit anderen linken Parteien und Gruppen gründete er die sogenannte ›Linke Versammlung‹. Das war 2007. Im gleichen Jahr waren vier Regimekritiker zu hohen Gefängnisstrafen verurteilt worden, unter ihnen der bekannte, aus einer christlichen Familie stammende Autor Michel Kilo. Gerade er hatte sich immer wieder durch Demokratiemanifeste für grundlegende Reformen in Syrien eingesetzt.
Zum ersten Mal bin ich al-Khair im Sommer 2012 begegnet, bei meiner letzten Reise nach Damaskus also. Es war nicht leicht, seine Telefonnummer zu bekommen, um ihn zu kontaktieren, dann aber auch nicht leicht, sich mit ihm zu verabreden. Er ist ständig unterwegs. Er ist nämlich auch einer der Sprecher des »Nationalen Koordinierungskomitees für demokratischen Wandel in Syrien«, ein Zusammenschluss von Oppositionsgruppen in Syrien, die auch heute noch auf eine Lösung ohne Einmischung von außen setzen. Nach mehreren Anläufen kommen wir zusammen im karg ausgestatteten Büro seiner im September 2011 gegründeten Organisation.
Eines macht er sofort klar, Syrien sei nicht mehr in der Lage, sich selbst zu retten. Eine Lösung ohne Druck von außen habe keine Zukunft. Das Scheitern Annans und sein Rücktritt hätten bei ihm aber große Zweifel aufkommen lassen, ob die Supermächte noch ein Interesse daran hätten, Syrien zu einem friedlich Wandel durch Verhandlungen zu zwingen.
»Nur wenn die Supermächte, Russland und die USA sich auf eine gemeinsame Linie einigen, dann sehe ich eine Möglichkeit, die syrischen Parteien unter Druck zu setzen. Die bewaffnete Opposition setzt auf Gewalt, das Regime ohnehin.« Dann
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