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Brenntage - Roman

Brenntage - Roman

Titel: Brenntage - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Jungen meines Alters war ich ungewöhnlich groß und verschlagen, mein Onkel behauptete, ich hätte es von ihm, doch Mutter schrieb in ihren Briefen, ein jeder Mensch sei für seinen Charakter selbst verantwortlich, und ich dürfe dem Onkel nicht alles glauben, nur vor dem Tod seien wir alle gleich, der macht keinen Unterschied, wen er in sein Totenreich holt, und irgendwann bekommt er ohnedies alle. Früher hatten in unserer Gegend noch viele bei der Eisenbahn gearbeitet, manche sogar in den nahe gelegenen Bergen und Stollen, wo sie Erze und Kristalle zutage förderten (der Onkel sollte mir erst viel später davon berichten). Andere zogen mit klapprigen Wägen über das Land und verkauften, was sie selbst nicht brauchten … Kartoffeln, Trockenfleisch, Filz und Pelz.
    Der Onkel erzählte mir, mit der Eisenbahn sei manche Familie hierhergelangt (die bis heute noch bei uns lebt), doch viel mehr Leute seien abgewandert, und keiner hätte sie je wiedergesehen. Es gab sogar eine Zeit, in der viele Häuser leer standen oder hoffnungslos verfielen, aber nach und nach besserte sich die Lage wieder, und erst, als die Eisenbahnund die Minen restlos stillgelegt wurden, konnte keiner mehr fort, und wohin auch, der Onkel schüttelte entschieden den Kopf.
Die Eisenbahn war eigentlich schon veraltet, bevor sie zu Ende gebaut worden war, und die Minen warfen irgendwann angeblich nicht mehr genug Ertrag ab, nach ein paar Jahren standen sich die Gesellschaften ihren Irrtum ein und zogen ab, keiner von ihnen machte sich die Mühe, die Minen hinter sich zu versiegeln. Nicht einmal den gröbsten Abfall räumten sie zur Seite,
sagte der Onkel. Er erzählte mir, wie er sich unlängst in die Schächte begeben hatte, doch viele endeten in Sackgassen, und andere führten angeblich immer weiter in die Dunkelheit, und das Atmen war ihm schwergefallen, und als das Licht erloschen war, konnte er von Glück reden, sich wieder an die Erdoberfläche herangetastet zu haben.
Es braucht immer einen, der weiß, wo es langgeht,
sagte der Onkel, was ich ihm nur zu gern glaubte.
    Ich entdeckte erst vor wenigen Jahren die Minen für mich, als eines Tages unversehens der Erdboden unter mir nachgab und ich überrascht in einen der dunklen Schächte fiel. Der Aufprall ließ sämtliche Luft aus meinen Lungen entweichen, etwas Modergeruch gesellte sich bald zu meiner misslichen Lage, und die Geister schienen über mir durch den schmalen Lichtkegel zu huschen, den mein Körper zuvor im Fallen in die Dunkelheit gerissen hatte. Ich glaubte durchaus, dass es in den Bäumen Geister gab, doch nie hätte ich gedacht, ihnen auch unter der Erde zu begegnen, in Schächten und Spalten, die doch üblicherweise den Toten vorbehalten waren (ihren Überresten und Knochen). Eigentlich hatte ich noch nie wirklich darüber nachgedacht, wo die Mutter und Tante abgeblieben waren und ob sie vielleicht nach ihrem Tod irgendwo als Geister ihr Auskommengefunden hatten, sich fortan auch nicht mehr waschen und niemals an einem Ort verweilen mussten («Freigeist» war doch ein schönes Wort, und ich gestehe es, mitunter wusch ich mich ziemlich ungern). Vielleicht irrte ich mich ja auch (und wir alle), und es gab gar keine Geister, die umherhuschenden Schatten mochten von Fledermäusen und Nachtfaltern stammen, doch ganz bestimmt gab es die Toten, die in meiner Vorstellung lebendig wurden, klebrige und poröse Gestalten, die mich nächtelang wach hielten und niemals erwachsen werden ließen.
    Das Leben ist kein Honigschlecken,
sagte der Onkel, und wenn er sprach, war es unmöglich, dass er irrte. Nach einigen Minuten betretenen Schweigens stand ich auf (mir die aufgeschlagenen Knie und Ellenbogen reibend) und versuchte, aus dem Stollen zu klettern, immer auf die Sonne zu. Es dauerte eine ganze Weile, aber es gelang … Immerhin war ich ein geübter Kletterer, der sich auf unsicherem (und senkrechtem) Terrain zu bewegen wusste. Tief im Herzen dankte ich jedoch den Bäumen, die schon vor langer Zeit ihre Wurzeln tief in die Stollen versenkt hatten und mir nunmehr (in weiser Voraussicht) Halt boten.
    Ich erinnere mich gut daran, dass in unserer Siedlung keine Frauen und Mädchen mit blauen Augen lebten und auch keine mit grauem Haar, ich weiß gar nicht mehr, wann mir das zum ersten Mal aufgefallen war. Zauneidechsen sonnten sich an den Hauswänden, grüne und braune Gesellen, die der Onkel mit frisch gefangenen Fliegen fütterte, um sie bei Laune zu halten.
    Nebenan wimmerten manchmal die

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