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Brenntage - Roman

Brenntage - Roman

Titel: Brenntage - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Lücken und Leerstellen machten mir Angst, wo ich mir doch schreckliche Dinge ausmalte. Als hätte jemand die Mutter am Schreiben hindern wollen, ihr immer wieder das Papier entrissen oder zerknüllt oder ihre Feder abgebrochen oder sie mit Grimassen verschreckt, man sah ihren Worten an, dass sie müder wurde, irgendwann würde sie vielleicht nicht einmal mehr wissen, wie sie hieß, und schon gar nicht, wovor sie mich hatte warnen wollen.
    Mutter machte sich oft Sorgen, manche ihrer Briefe waren förmlich Litaneien künftiger Schrecken, sie riet mir, auf der Hut zu sein, ich solle mich vor den grauen Tümpeln undgrünen Hecken, den Winden und wandernden Hügeln (Dünen?) in Acht nehmen, den Minen und Schluchten und Schwänen, den Nachbarn und Vipern, die am Waldrand nach unvorsichtigen Mäusen schnappten. Ich stellte mir manchmal die Mutter vor, wie sie ihre Zeilen schrieb und das Papier sorgfältig glättete, wie ihre Hände bebten und sie sich etwas Streulicht aus dem Haar wischte, wie kleine Lanzen durch ihre Eingeweide stachen (als würde jemand im Flachwasser kleinen Fischen nachstellen) und im Hintergrund ein kleines Grammofon aufspielte.
    Oft genug lockte die Musik Soldaten an
, erzählte der Onkel,
sie blieben unter den Fenstern stehen und schauten nach oben, niemand durfte auch nur daran denken, an den Vorhängen zu zupfen, sie hätten unweigerlich die Häuser gestürmt. Wir glaubten damals jedenfalls daran, naiv wie wir waren, und allesamt viel zu unbekümmert.
Ich konnte mir gut vorstellen, wie man den kleinen Kindern den Mund zuhielt und alle ganz flach atmeten und ängstlich zu den Türen und Fenstern aufsahen, ob jemand eintreten und was genau es nach sich ziehen würde.
    Ich versuchte, mir vorzustellen, welche Platten sie wohl abspielten, schließlich war es kein Leichtes, Soldaten aus den Wäldern zu locken, Väter und Männer, die so viel gesehen und erlebt hatten und unter normalen Umständen keinerlei Furcht verspürten. Ich malte in meiner Kindheit oft Soldaten (mit dicken Buntstiften), nur konnte ich mich später nicht mehr daran erinnern. Der Onkel fand die Zeichnungen vor einigen Jahren auf dem Speicher … Wir suchten gerade nach Unrat und siebten im Garten sogar die Erde durch, die Brenntage ließen uns zum wiederholten Mal keine Ruhe, wo doch die Höhe der Feuer neuerdings angeblich über fruchtbareFelder und allerlei Nöte entschied,
er bringt nur selten Gutes, der menschliche Aberglaube,
sagte der Onkel. Ich besah die Skizzen und Zeichnungen, staunte über die überdimensionalen Mündungsfeuer und Panzer, die ich damals gemalt hatte, im Hintergrund explodierten immerzu riesige Bomben. Bestimmt hatte ich sie nie mit eigenen Augen gesehen, allerdings wusste ich, Uniformen und Dienstgrade zu unterscheiden, die es längst nicht mehr gab. Manche Soldaten trugen die Gesichtszüge meines Onkels, und andere zeigten mich, um Jahre gealtert und mit flackernden Augen, überall rissige Hände, die Gewehre umklammerten und ihre Wut keinesfalls für sich behielten.
    In unserer Siedlung gab es (man höre und staune) keine Ärzte, und sie waren auch gar nicht vonnöten, wo doch kaum jemand ernsthaft erkrankte, und um etwas zu diagnostizieren, setzte man sich einfach in irgendeinen Hof oder Vorgarten und wartete zu, ob sich Stubenfliegen auf einem niederließen (oder auch nicht), diese bevorzugten in der Tat die Kranken und Schwachen. Ließen sich die Fliegen schließlich mit allerlei Hausmittelchen vertreiben, würde man es überleben, ließen sie trotz diverser Bemühungen nicht ab, musste man mit dem Schlimmsten rechnen, es war eigentlich alles ganz einfach.
Deine Mutter war von Fliegen übersät gewesen,
sagte der Onkel, und ich hasste ihn in diesem Augenblick, weil ich mir gut vorstellen konnte, wie er neben ihr gestanden und väterlich ihre Hand gehalten, allerdings nichts gegen die Fliegen unternommen hatte. Ich hätte dies niemals zugelassen, ich hätte die Fliegen getötet, eine nach der anderen, mit der Sorgfalt eines Geisteskranken, selbst wenn es Jahre gedauert hätte, keine einzige «Todbringerin» hätte ich übersehen. Ich meine, wie viele Fliegen muss manwohl töten, um das Leben eines einzigen Menschen aufzuwiegen, um ihre Kadaver später gegen dieses Leben einzutauschen? Immer und immer wieder stellte ich mir diese Frage, jeden Tag, bevor ich einschlief, und kaum war ich am nächsten Tag erwacht, summte es in meinem Kopf, die Fliegen blieben allgegenwärtig, das Geräusch ließ sich nie

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