Brenntage - Roman
ganz abstellen.
Ich muss alle Fliegen töten, auf allen Kontinenten, sie zum Verstummen bringen mit allen nur denkbaren Mitteln,
murmelte ich unablässig, damit der Tod irgendwann ein Einsehen hat und meine Mutter gehen lässt.
Ich dachte eine lange Zeit, der Tod besäße eine unterirdische Stadt, die er nach und nach gestaltete, wie es ihm beliebte, immer dann, wenn es sein enger Terminplan zuließ (dass der Tod viel zu tun hatte, lag auf der Hand). Dass die Toten in Städten wohnen, so ganz bin ich nie von diesem Gedanken abgekommen, wo ich doch keinesfalls einsehen wollte, warum nach dem Tod alles anders sein sollte. Schließlich sind nur die wenigsten Menschen ausgesprochene Einzelgänger, und sie suchen gerne die Gesellschaft derer, die sie an ihr eigenes Leben erinnern. Bestimmt würden sie ihre alten Gewohnheiten nach dem Tod beibehalten, sich in Städten sammeln, Häuser bauen, Straßen pflastern, Erdbeereis mögen, sich mit den Nachbarn unterhalten (Streit anzetteln) und abends das Licht abdrehen.
Die Töchter meiner Nachbarn, die so schnell erwachsen geworden waren, erinnerten mich daran, dass ich selbst gewachsen war, irgendwo im Bauch oder einem anderen Hohlraum der Mutter. Ich stellte mir oft die Frage, ob ich vor meiner Geburt vielleicht schon einmal tot gewesen war, alles andere wäre doch verrückt?
Der Mensch ist ein Hohlraum, in dem sich allzu oft der Teufel spreizt,
sagte der Onkel,
wir müssen erpicht sein, die Lücken mit etwas Gutem zu füllen, wir müssen uns darauf konzentrieren, die Kirche im Dorf zu lassen … Licht aus jetzt!
(Dabei lebten wir in einer kleinen Siedlung, und von einer Kirche war weit und breit keine Spur.) Dass einmal eine Frau gelebt haben soll (meine Urgroßmutter?), die meinen Onkel geboren hatte, ich konnte mir das überhaupt nicht vorstellen … dass er einen
solchen
Weg in die Welt hätte nehmen müssen, mein Onkel, dass ich nicht lache.
Wenn ich ernsthaft darüber nachdachte, wie der Onkel wohl zur Welt gekommen war, fiel mir nichts Besseres ein, als bekannte Mythen zu bemühen … Möglicherweise stammte er von den Wäldern ab, die irgendwann ihre stärksten Stämme ausgeschickt hatten, um der Menschheit habhaft zu werden. Wahrscheinlicher schien mir die Erklärung, der Onkel sei insgeheim die Spitze eines Berges, die im Laufe der Jahrhunderte (von Wind und Wetter geschwächt) abgebrochen war und sich in die Welt der Menschen zurückgezogen hatte, um weiter zu herrschen (was konnte ein Mensch einem Berg schon entgegensetzen?). Noch plausibler … der Onkel entstieg dem Feuer der allerersten Brenntage, die so alt waren wie die Welt selbst, er war die glühende Lava, die sich unter die Menschen mischte, um sie aus allernächster Nähe anzufachen.
V. Ich erkläre mir selbst den Krieg
Manche Menschen in unserer Siedlung erinnerten mich an Regenschauer, andere waren wohl einst Hagelkörner, die zur Erde geprasselt waren, während ich geschlafen oder von schelmischen Mädchen geträumt hatte. Die Jüngsten in unserer Straße (also auch ich) ließen manchmal längst vergessene Wörter aufleben (weil sie unbedarft waren) … Die Mutter hatte mir so manches Wort überlassen, doch viele Ausdrücke waren mit ihr für immer entschwunden. Diese Worte glichen Zauberformeln, die zugleich irgendein Wissen bewahrten, sie sollten mich gewiss auf die richtige Spur bringen, was gelegentlich auch der Fall war. Der Onkel nahm keines dieser Worte je in den Mund, ich könnte es beschwören, obwohl so ein Schwur natürlich gar nichts wert ist, wenn es keinen
Einsatz
gibt. Worte wie
Schwemmland
und
Siebenschläfer
oder
Weißkopfgreif
, die Mutter schien immer mit dem Zeigefinger auf etwas zu deuten, Belebtes und Unbelebtes, gewiss war es schwer, den Unterschied zu erkennen.
Auch die Fingerfertigkeit meines Onkels verwandelte in meinen Träumen manchmal ganze Landstriche, die Bäume zogen los, um anderswo Fuß zu fassen, und die Steine ließen sich nicht zweimal bitten, sie lösten sich im Nichts auf, und man sah sie nie wieder. Und die Vögel balancierten ihre Nester auf den Köpfen, kopflose Pferde trabten durch die Manege, Regentropfen fielen vom Himmel, die an seidenen Fäden hingen, in aufkommenden Windböen verhedderten sie sich trostlos, und in den immerzu wachsenden Knoten keimten schon bald verlangsamte Blitze.
Eines Frühjahrs bat mich einer der Nachbarn, bei der Renovierung seines Hauses behilflich zu sein, er sprach beimOnkel vor und wollte wissen, ob dieser
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